Chinese President Xi Jinping  shakes hands with US Vice President Joe Biden inside the Great Hall of the People in Beijing, China, 2013.
MERICS Briefs
MERICS China Essentials
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Bidens Wahlsieg in den USA sorgt in Peking für kühle Reaktionen

Die Fakten: Joe Biden hat nach den Wahlen in den USA von vielen Seiten schnell Glückwünsche zum Sieg erhalten - nur China zögerte tagelang mit einer offiziellen Reaktion. Der Grund hierfür könnte auch in Unsicherheit darüber liegen, wie sich der anstehende Regierungswechsel in den USA auf die Beziehungen zwischen China und den USA auswirken wird.

Biden wird eine andere Außenpolitik verfolgen als Donald Trump. Washingtons China-Politik allerdings dürfte sich nicht grundlegend ändern: sowohl Demokraten als auch Republikaner sehen in China einen strategischen Wettbewerber. Es ist zu erwarten, dass Biden bei Verbündeten in Europa und im Indopazifik um einen geschlossenen Umgang mit China werben wird. Auch wird er versuchen, Beijing bei gemeinsamen globalen Themen wie Klimawandel, Umwelt oder öffentliche Gesundheit stärker in die Verantwortung zu nehmen.

In der Berichterstattung über die US-Wahlen stellen parteistaatliche Medien vor allem das „Chaos“ im Wahlverlauf in den Vordergrund. Die Nachricht, dass Biden die für einen Sieg benötigten Stimmen von 270 Wahlleuten erreichte, stand gegenüber Berichten über Unruhen auf den Straßen und die politische Spaltung der USA im Hintergrund. Donald Trumps verbale und juristische Anfechtungen gegen das Wahlergebnis nutzt Beijing, um das eigene Regierungssystem als rational und letztlich überlegen darzustellen.

Der Blick nach vorn: Unter einem Präsidenten Biden steigen die Chancen für eine transatlantische Zusammenarbeit im Umgang mit China. Das könnte es europäischen Ländern erleichtern, effektiver auf problematische Aktivitäten der chinesischen Seite zu reagieren, beispielsweise die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang, Diebstahl von geistigem Eigentum und unfaire Handelspraktiken.

MERICS-Analyse: Die chinesische Seite geht offenkundig davon aus, dass die Beziehungen mit den USA insgesamt angespannt und feindselig bleiben. Zugleich besteht die Hoffnung auf Entspannung etwa im Handelskonflikt oder der Taiwan-Frage. Wenn Biden in der Gestaltung einer selbstbewussten China-Politik den Schulterschluss mit internationalen Verbündeten sucht, dürfte es für Beijing schwieriger werden, sich als verantwortungsvolle globale Macht von den USA abzuheben – eine Strategie, die unter dem außenpolitisch erratisch agierenden Donald Trump noch funktionierte.

Mehr zum Thema: François Chimits, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei MERICS, diskutiert in diesem Beitrag die US-chinesischen Beziehungen nach der Wahl und die Folgen für die EU.

Medienberichte und Quellen:

GRAFIK DER WOCHE

Bei der Entwicklung einer transatlantischen China-Strategie spielt die NATO eine zentrale Rolle. Diese könnte unter einem US-Präsidenten Biden neu definiert werden. Unsere Grafik, die in Zusammenarbeit mit Forschern vom IISS in London erstellt wurde, zeigt Partnerschaften Chinas und der NATO, vor allem mit Ländern in der strategisch bedeutsamen indo-pazifischen Region.

Hongkonger Oppositionsvertreter treten aus Protest zurück

Die Fakten: Pro-demokratische Abgeordnete des Hongkonger Parlaments sind aus Protest gegen den Ausschluss von vier Kollegen zurückgetreten. Die Hongkonger Regierung verkündete am 11. November, dass vier Mitglieder des Hongkonger Legislativrats ihren Sitz im Parlament verlieren würden. Kurz darauf gaben die verbleibenden 15 Abgeordneten des pandemokratischen Lagers geschlossen ihren Rücktritt bekannt. Im Parlament sind nun nur noch 43 Abgeordnete, von denen 41 als Beijing gegenüber loyal gelten.

Eine Entscheidung des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses bildete die Grundlage für den Ausschluss. Diese sieht vor, dass die Hongkonger Regierung Parlamentariern ihren Sitz im Legislativrat entziehen kann, wenn diese „die Unabhängigkeit Hongkongs unterstützen, die  Souveränität der Zentralregierung nicht akzeptieren, mit ausländischen Kräften zusammenarbeiten oder sich an Handlungen beteiligen, die die nationale Sicherheit gefährden“.

Die Entscheidung umgeht etablierte Verfahren des Legislativrats und ermöglicht der Regierung von Carrie Lam eine stärkere Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Gremiums oder auch Kandidaten von künftigen Wahlen auszuschließen. Lam hob hervor, der Schritt stehe in Einklang mit der Rechtsstaatlichkeit und dem demokratischen System Hongkongs. Das Verbindungsbüro Beijings hingegen stellte deutlich klar, Hongkong „müsse von Patrioten regiert werden“ – sprich: solchen, die die Führung der KPC unterstützen.

Der Blick nach vorn: Die Entwicklungen verändern grundlegend die Bedeutung des Legislativrats, in dem Oppositionsarbeit de facto nicht mehr möglich sein wird. In Hongkong beginnt nun eine “post-parlamentarische Ära”, das Stadtparlament fällt als Plattform für die friedliche, demokratische Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Lagern aus. Die Opposition wird andere Wege suchen und möglicherweise zurück auf die Straße kehren.

MERICS-Analyse: “Die pro-demokratische Opposition hat sich entschieden, das Parlament zu verlassen, anstatt in einer Scheindemokratie mitzuwirken, in der ernsthafte Oppositionsarbeit nicht erlaubt war. Hongkongs Demokratie war von Beginn an zerbrechlich – nur die Hälfte der Mitglieder des Legislativrats wird direkt vom Volk gewählt und der Regierungschef wird von einem Wahlkomitee ernannt. Mit diesem Schritt ist es Beijing endgültig gelungen, das Parlament der Stadt nach seinen Vorstellungen umzugestalten.", sagt MERICS-Expertin Katja Drinhausen.

Medienberichte und Quellen:

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited

Chinas Fintech-Riese Ant Financial wird von der Politik in die Schranken gewiesen

Die Fakten: Der für Anfang November geplante Börsengang der Ant Financial Group in Hongkong und Shanghai hätte die weltweit größte Erstnotierung (Initial Public Offering, IPO) werden sollen. Ant Financial betreibt den populären mobilen Bezahldienst Alipay und bietet Finanzdienstleistungen wie Mikrokredite an. Dem mit 37 Milliarden USD bewerteten Börsengang schien nichts mehr im Weg zu stehen, in letzter Minute entzogen die chinesischen Aufsichtsbehörden jedoch ihre Genehmigung. Der Grund dafür könnte die scharfe Kritik von Ant-Financial-Eigentümer Jack Ma gewesen sein. Dieser hatte in einer Rede kürzlich chinesischen Banken eine „Pfandleiher-Mentalität“ vorgeworfen, da sie – im Gegensatz zu seinem Unternehmen – von Kreditnehmern eine Sicherheit verlangen. Die Behörden begründeten die Absage des Börsengangs mit „neuen Regeln“.

Der Blick nach vorn: Chinas Regierung will private Unternehmen im Finanzsystem in die Schranken weisen. Ant Financial muss aufgrund der geänderten Vorschriften seine Kreditsparte, die einen Anteil von 40 Prozent am Absatz hat, überarbeiten. Das Unternehmen hat bislang als Vermittler zwischen Kunden und Banken gewirkt, in Zukunft soll es laut Plänen der chinesischen Zentralbank (PBOC) mehr wie eine Bank behandelt werden. Das würde bedeuten, dass Darlehen begrenzt und 30 statt bislang zwei Prozent der vergebenen Kreditsumme vorgehalten werden müssen. Der Börsengang von Ant Financial ist daher ungewiss. Da das Vertrauen der Investoren beschädigt wurde, dürfte eine neue Bewertung im nächsten Jahr niedriger ausfallen als zuvor.

MERICS-Analyse: Den politischen Entscheidungsträgern dürfte es nicht leichtgefallen sein, den Börsengang zu stoppen, der ein Signal der Stärke und Professionalität senden sollte. Der Vorfall zeigt jedoch, dass die KPC Unternehmen wie Ant Financial zunehmend als Risiko für das Finanzsystem betrachtet. Die chinesische Zentralbank entwickelt derzeit ihre eigene digitale Währung und testet diese bereits in Pilotprojekten. Die Kontrolle über das Finanzsystem und die Privatwirtschaft haben letztlich überwogen, weitere Regeln könnten folgen. In China müssen auch große Unternehmen zurückhaltend auftreten.

Mehr zum Thema: MERICS-Experte Kai von Carnap analysiert Chinas neue digitale Währung.

Medienberichte und Quellen:

China schränkt Import australischer Produkte ein

Die Fakten: Inmitten wachsender Spannungen hat Beijing nach einem Medienbericht australische Importe im Wert von sechs Milliarden USD gestoppt, darunter Kohle, Kupfererz und -konzentrat sowie Bauholz. Angesichts der zunehmend belasteten diplomatischen Beziehungen der beiden Länder sind die Importbeschränkungen auch als Vergeltungsmaßnahme zu werten: Mit dem chinesisch-stämmigen Australier Sunny Duong steht erstmals jemand nach dem australischen Gesetz gegen ausländische Einflussnahme unter Anklage. Verärgert war Beijing zudem über die australische Forderung nach unabhängigen internationalen Untersuchungen zu den Ursprüngen der Coronavirus-Pandemie. Offiziell bestätigt wurden die Importverbote noch nicht, nur die parteistaatliche Global Times berichtete darüber. Zudem gab es öffentliche Äußerungen von chinesischen Beamten, wonach Australien “wisse, was es zu tun habe” um die Beziehungen zu verbessern.

Der Blick nach vorn: Daten des australischen Thinktanks ASPI zeigen, dass China seit 2018 zunehmend Zwangsmaßnahmen einsetzt, um politische Ziele zu erreichen. Aus den Daten geht auch hervor, das Europa eines der Hauptziele solcher Taktiken ist. Das unterstreicht, wie wichtig der Austausch und die gegenseitige Unterstützung zwischen Europa und Australien sind.

MERICS-Analyse: "Dass Beijing Handelsbeschränkungen über parteistaatliche Medien kommuniziert, während offizielle Stellen schweigen, ist eine Taktik, die häufig eingesetzt wird, um einerseits Interpretationsspielraum zu schaffen und eine Meldung im Zweifel dementieren zu können. Schon die vage Androhung einer Maßnahme soll potenziell von Verboten betroffene Unternehmen veranlassen, Druck auf ihre Regierung auszuüben, sich an die Erwartungen Beijings anzupassen. Durch offizielle Dementis versucht Beijing zu vermeiden, in internationalen Foren wie der WTO verantwortlich gemacht zu werden." MERICS-Expertin Lucrezia Poggetti

Medienberichte und Quellen:

Paketboten-Streik zum „Singles‘ Day“ offenbart Schwierigkeiten bei Konsumstärkung

Die Fakten: Der dem Online-Shopping gewidmete „Singles’ Day“ am 11. November hat in China allein dem größten Händler Alibaba neue Rekordumsätze in Höhe von 56 Milliarden Dollar eingefahren und damit dem chinesischen Einzelhandel einen dringend benötigten Schub gebracht. Überschattet wurde dieser Erfolg von einem Streik der Paket-Kuriere, einem wichtigen Rückgrat der Branche. Die Kuriere protestierten gegen Lohnrückstände, das Thema wird in Chinas sozialen Medien heiß diskutiert. Während der Covid-19-Pandemie stieg das Volumen der Paketzustellung auf ein Allzeithoch. Doch schon länger ist ein heftiger Preiskampf in Gang, die großen Logistikfirmen machen sich im Kampf um Marktanteile mit Niedrigangeboten Konkurrenz – auf Kosten der Fahrer, deren Löhne gesunken sind und die zum Teil monatelang auf ihre Löhne warteten.

Der Blick nach vorn: Die Pandemie hat die Kluft zwischen Arm und Reich in China vergrößert. Die chinesische Führung muss dafür sorgen, dass diejenigen, die durch ihre günstige Arbeitskraft das Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte getragen haben, nicht zurückbleiben. Das erfordert weitere Reformen und Sozialleistungen für sozial schwache Gruppen in Zeiten, in denen die Staatskassen auch Unternehmen unterstützen müssen.

MERICS-Analyse: Xis Ankündigung, bis Ende des Jahres in China eine "Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand" zu verwirklichen, setzt die Regierung unter Druck. Die Vorschläge der KPC für den nächsten Fünfjahrplan sehen für China ein neues, von Innovation und Konsum angetriebenes wirtschaftliches Wachstumsmodell bei gleichzeitig sinkender Exportabhängigkeit vor. Damit Chinas neue Strategie der “zwei Kreisläufe" aufgeht, muss der Binnenkonsum deutlich anziehen. 

"Die Streiks werfen ein Licht auf die bevorstehenden Herausforderungen. Während die Zahl der Milliardäre in China seit dem Ausbruch der Pandemie gestiegen ist, sind die Einkommen der gering qualifizierten Arbeitskräfte gesunken, insbesondere im Dienstleistungssektor", sagt MERICS-Analystin Valarie Tan.

Mehr zum Thema: In einem kürzlich veranstalteten MERICS-Webseminar diskutierte Valarie Tan mit Scott Rozelle (Stanford University) und David Rennie (The Economist) über Ungleichheit und Armutsbekämpfung in China. Sehen Sie sich die Aufzeichnung hier an.

Medienberichte und Quellen:

METRIX

5 percent

China erwägt laut von der Nachrichtenagentur Reuters zitierten informierten Kreisen ein jährliches BIP-Wachstumsziel von fünf Prozent für die nächsten fünf Jahre. (Quelle: Reuters)

REZENSION Betraying Big Brother: The Feminist Awakening in China, von Leta Hong Fincher (Verso 2018)

Die chinesischen Frauenrechtlerinnen Li Maizi (geborene Li Tingting), Wei Tingting, Zheng Churan, Wu Rongrong und Wang Man erlangten 2015 auch international Bekanntheit, nachdem sie kurz vor dem internationalen Weltfrauentag festgenommen wurden. Die als „Feminist Five“ bekannte Gruppe hatte sich in China für ein stärkeres Bewusstsein für Geschlechterungleichheit und sexuelle Belästigung engagiert. Ihre Festnahme löste in Internetforen und sozialen Medien heftige Reaktionen und Diskussionen über Sexismus aus, welche die globale #MeToo Bewegung vorwegnahmen.

Leta Hong Fincher, Autorin des von Kritikern gelobten Buchs „Leftover Women: The Resurgence of Gender Inequality in China” (etwa: Übriggebliebene Frauen: Die Wiederauferstehung von Geschlechterungleichheit in China), erzählt in ihrem zweiten Buch die Geschichte der fünf Frauen und beschreibt die Rolle des Feminismus in der chinesischen Politik. Die Autorin verwebt erschütternde Biographien, Berichte aus erster Hand, berührende Anekdoten und Dialoge, um die Ereignisse rund um die Festnahmen zu rekonstruieren und setzt diese in Zusammenhang mit der Diskussionskultur im Internet, die politischen Aktivismus förderte, aber auch bedrohte.

Das Buch erklärt, wie Geschlechterrollen in Chinas politischer Elite seit Anfang des 20. Jahrhunderts verhandelt wurden. Hong Fincher argumentiert, dass die chinesische Führung Frauenrechte in der modernen Geschichte Chinas nicht wirklich ernst nahm. Nach dem Ende des chinesischen Kaiserreichs habe der maoistische Marxismus die aufkeimenden feministischen Diskussionen ins Abseits gedrängt, um sich die Unterstützung der patriarchal geprägten Landbevölkerung zu sichern. Finchers Fazit lautet, dass die Wiederbelebung von streng konservativen, auf die Familie ausgerichteten und auf einer überbetonten Männlichkeit beruhenden Narrativen unter Xi Jinping patriarchale Muster, Sexismus und Frauenfeindlichkeit in der chinesischen Gesellschaft stärkten.

Die Tatsache, dass heute nur 30 Frauen im 373 Mitglieder umfassenden Zentralkomitee der Kommunistischen Partei vertreten sind, spricht für ein weiteres zentrales Argument der Autorin, wonach Geschlechterungleichheit zur Identität der KPC gehört und gewissen Kräften zum Machterhalt dient.

Rezension von Kai von Carnap, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, MERICS

VIS-À-VIS: Philippe le Corre: “Der Wahlsieg von Biden wird die transatlantische Zusammenarbeit wiederbeleben.“

MERICS China Briefing sprach mit Philippe le Corre, Wissenschaftler an der Harvard Kennedy School und (nicht ansässiger) Senior Fellow bei Carnegie, über Chancen der transatlantischen Zusammenarbeit in der China-Politik nach den US-Wahlen.

Die Fragen stellte Janet Anderson, freiberufliche Redakteurin

Welche Möglichkeiten ergeben sich nach dem Wahlsieg Joe Bidens für eine verstärkte US-europäische Zusammenarbeit in der China-Politik?

Ich sehe mehrere Bereiche, in denen die EU und die kommende US-Regierung mit Blick auf Herausforderungen durch China zusammenarbeiten könnten. In erster Linie zum Beispiel beim Thema Klima: Joe Biden verkündete als eine seiner ersten Entscheidungen, dass die USA wieder dem Pariser Abkommen beitreten würden. Auch hat er eine Frist zur Erreichung der CO2-Neutralität formuliert. Diese Themen sind auch den Europäern wichtig. Eine transatlantische Koalition könnte dazu beitragen, Beijing zum schnelleren Handeln zu bewegen – zumal Xi erst kürzlich versprochen hat, die CO2-Neutralität bis 2060 zu erreichen.

Im Bereich der Wirtschaft haben Amerikaner und Europäer viel zu besprechen: Die USA und auch die EU fordern bessere Marktzugänge für ihre Unternehmen in China. Alle haben Prüf-Mechanismen entwickelt, um den Diebstahl von geistigem Eigentum durch chinesische Staatsunternehmen sowie Übernahmen wichtiger Infrastrukturen und Technologien in ihren jeweiligen Volkswirtschaften zu verhindern. Alle im Westen sind sich einig, dass im Handel mit China wieder ein Gleichgewicht hergestellt werden muss.

Letztlich steht die Frage nach demokratischen Werten im Raum. In den vergangenen Jahren hat die chinesische Regierung vermehrt Menschenrechtsverletzungen begangen, darunter in Xinjiang und in Hongkong. Diese widersprechen den Grundwerten der USA und der EU. Transatlantische Verbündete sollten hier wieder mehr mit einer Stimme sprechen.

Was könnte eine bessere US-europäische Zusammenarbeit behindern?

Ich bezweifle, dass China – oder die Außenpolitik insgesamt – für Biden in den ersten Monaten Priorität haben werden. Innenpolitisch steht die USA vor großen Problemen wegen der Covid-19-Pandemie. Das Land braucht einen Wiederaufbauplan, um den durch Trump verursachten Schaden zu reparieren. Es ist auch möglich, dass die US-Regierung unter Biden anstelle eines Schulterschlusses mit der EU lieber direkte Vereinbarungen mit China und seinen Verbündeten in Asien, wie Japan und Indien, trifft. Dies war ja auch schon bei der „Hinwendung nach Asien“ (pivot to Asia) der Fall, unter der Regierung Obama, in der Joe Biden Vizepräsident war.

Darüber hinaus gibt es in Europa Stimmen, die eine Hinwendung zu China zugunsten europäischer Exporte und der europäischen Tourismusindustrie unterstützen. China wird noch für lange Zeit ein großer Markt bleiben, und europäische Unternehmen brauchen Perspektiven – auch wenn sich das chinesische Regime während der Pandemie in der europäischen öffentlichen Meinung unbeliebt gemacht hat.

Wie würde Beijing auf eine engere transatlantische Zusammenarbeit in der China-Politik reagieren?

Beijing hat immer versucht, eine transatlantische Herangehensweise an China betreffende Angelegenheiten zu unterbinden. 2015 hat China erfolgreich den Westen durch die Gründung seiner asiatischen Infrastrukturinvestmentbank gespalten, indem es europäische Länder als „Gründungsmitglieder“ anlockte. China lastet es der Einflussnahme Washingtons an, dass Huawei wichtige europäische 5G-Verträge nicht abgeschlossen hat. Um dem entgegenzuwirken, pflegt es Beziehungen mit der europäischen Geschäftswelt und gewinnt pensionierte Politiker oder ehemalige Diplomaten dafür, gegen ein transatlantisches Bündnis Lobbyarbeit zu betreiben.

China ist sich auch der Unzufriedenheit in der EU über die mangelnden Fortschritte bei dem angestrebten umfassenden Investitionsabkommen bewusst. Beijing wird womöglich auch eine spezifische Strategie für den Umgang mit der NATO entwickeln, da das Bündnis sich zuletzt zunehmend besorgt über Chinas Aufstieg gezeigt hat. Bidens Wahlsieg wird die enge transatlantische Zusammenarbeit in vielen multilateralen Angelegenheiten wiederherstellen, in denen China sich eine wichtigere Rolle erkämpft hat. Dazu gehören Bereiche wie Handel, Gesundheit oder Umwelt. China wird Kompromisse eingehen müssen, will es hier eine weitere Entkopplung vom Westen vermeiden.

IM PROFIL: Jiang Jinquan: Ein Denker im Dienste der Partei

Jiang Jinquan‘s Karriere steht beispielhaft dafür, wie prägende Ideen und Theorien in China entworfen werden. Der studierte Ökonom ist äußerst produktiv, wenn es um das Verfassen von Partei-Theorien geht: mehr als 40 Bücher hat er publiziert. Sie tragen Titel wie: Die Kunst innerparteilicher Kritik, Jiang Zemins Gedanken zur Entwicklung der Partei, Zur korrekten Formulierung von Kritik und Selbstkritik und Lernen von Generalsekretär Xi Jinpings Leitfaden für die Entwicklung der Partei und ihre umfassende Steuerung mit strenger Disziplin.

Jiang schreibt diese Abhandlungen aus dem Central Policy Research Office (CPRO) heraus, in dem er in den vergangenen 30 Jahren gearbeitet hat. Das CPRO ist nicht irgendein Thinktank – es arbeitet im Auftrag der Parteispitze die wichtigsten Strategien aus. Es beherbergt auch das Büro von Chinas einflussreichstem politischen Gremium, der Zentralkommission für die umfassende Vertiefung der Reformen, der Xi Jinping persönlich vorsitzt. Angesichts seines Fleißes und seiner Loyalität mutet es wenig überraschend an, dass der Staatsrat Jiang jetzt zum Direktor des CPRO machte.

Jiang spielt schon lange eine Schlüsselrolle innerhalb des CPRO. Der 61-Jährige verantwortet seit 2018, als sein Vorgänger Wang Huning in den ständigen Ausschuss aufrückte, das Tagesgeschäft des CPRO. Jiang gehörte auch der Gruppe an, die 2017 die zentralen Dokumente für den 19. Kongress der Kommunistischen Partei entwarf. Er trug damit entscheidend zur Neuformulierung der Parteiverfassung bei. Um der Bevölkerung die Werte der Partei zu vermitteln, schreibt Jiang auch für das Fernsehen. Für seinen Beitrag zu „Mission“, einer groß angelegten Dokumentation über Chinas Verteidigungspolitik, erhielt Jiang sogar einen Preis der KP-Propagandaabteilung.

Jiang gehört zur intellektuellen Spitze der Partei, die Konzepte wie Xi Jinpings „China Traum“, Jiang Zemins „dreifaches Vertreten“ und Hu Jintaos „wissenschaftliche Entwicklung“ mitentwickelt haben. Konzepte, welche Chinas Politik maßgeblich definieren, auch wenn sie für Außenstehende abstrakt klingen. Chinas Parteispitze vertraut offenkundig darauf, dass Jiang der Richtige ist, um diese Arbeit fortzusetzen.