Interview
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Sebastian Heilmann zur KPC auf dem Weg ins nächste Jahrhundert

"Wir müssen uns auf eine chinesische Supermacht mit globaler Reichweite vorbereiten"

Sebastian Heilmann ist Professor für Politische Ökonomie Chinas an der Universität Trier. Von 2013 bis 2018 war er der Gründungsdirektor von MERICS. Im Rahmen unserer Serie über das "nächste Jahrhundert der KPC" haben wir ihn gefragt, was er für die wichtigsten Quellen der Widerstandsfähigkeit der Partei hält und wie realistisch das Ziel Beijings ist, bis 2049 zur globalen Supermacht aufzusteigen. Gekürzte Fassung, die Fragen stellte Claudia Wessling.

Wenn Sie auf die letzten 100 Jahre der KPC zurückblicken, was kennzeichnet ihre Regierungsführung?

Da sind mehrere Faktoren: Der erste ist die politische Kontrolle. Auch wenn es im Laufe ihrer Geschichte viele Krisen und Brüche gab, hatte die KPC die Sicherheitskräfte und vor allem das Militär immer sehr fest im Griff. Das ist eine wichtige institutionelle Voraussetzung, um Partei an der Macht zu halten, während sie mit vielen inneren und äußeren Umwälzungen konfrontiert war.

Eine weitere wichtige Quelle für die Widerstandsfähigkeit, die Resilienz, der KPC ist ihre Kampagnenfähigkeit. Diese hat die Partei seit den frühen Jahren und der Zeit der Revolution eingesetzt und verfeinert. Sobald Chinas politisches System in einen Krisenmodus gerät, schiebt die KPC bürokratische Routinen beiseite und mobilisiert die gesamte politische Maschinerie, um sich auf eine einzige Aufgabe zu konzentrieren, wie zum Beispiel jüngst den Kampf gegen das Coronavirus.

Ein entscheidender und aus westlicher Sicht überraschender Faktor, der Chinas politisches und wirtschaftliches System agil hält, ist die anhaltende politische Experimentierfreude. Damit meine ich die Offenheit, neue politische Instrumente auszuprobieren und die politischen Ziele der Zentralregierung mit konkreten Problemlösungen vor Ort zu verbinden. Wir haben dieses Muster seit den Anfängen der Partei gesehen, von den Basislagern der Revolution bis zu den Sonderwirtschafts- und Freihandelszonen.

Weitgehend ignoriert wird in der westlichen Wahrnehmung Chinas der Beitrag langfristiger Entwicklungsplanung zur Stärke der KPC-Herrschaft und zu Chinas wirtschaftlichem Aufstieg in den vergangenen Jahrzehnten. Um flexible Lösungen für Chinas wirtschaftliche und technologische Entwicklung zu finden, wurden langfristige politischer Programme, die strategische Ziele in Bereichen wie Wissenschaft und Bildung oder auch Infrastruktur ausgaben, kombiniert mit Experimenten von unten. So war Entwicklung einerseits eine stabile Richtung vorgegeben, andererseits wurde verhindert, dass diese zu starr und unflexibel wurde.

Gilt diese Flexibilität auch noch unter Xi Jinping?

Die Ära Xi Jinping ist in wichtigen Aspekten eine Abkehr von Prinzipien, die seit den frühen 1980er Jahren galten. Zum Beispiel unterscheidet sich das Ausmaß der Zentralisierung der Politikgestaltung erheblich vom Führungsstil von Deng Xiaoping, Jiang Zemin und Hu Jintao, unter denen Chinas Verwaltungssystem viel dezentraler war.

Wir sehen diese Abweichung von der früheren Politik auch in dem Versuch der KPC, die Privatwirtschaft zu kontrollieren. Die Partei versucht, ihre politische und ideologische Kontrolle tief in den privaten Sektor mit seinem bisher recht freilaufenden Innovations-Ökosystem auszuweiten. Dieser politische Vorstoß könnte aufgrund zunehmender politischer Restriktionen und Eingriffe zu einem großen Hemmschuh für Chinas Dynamik werden. Daher sehe ich die Ära Xi Jinping als eine Abweichung von den flexibleren Herrschaftsmustern, die wir vor allem in der Zeit von 1992 bis 2012 gesehen haben.

Wird die KPC ihr großes Hundertjahrziel erreichen, aus China bis 2049 eine wohlhabende und mächtige Nation und eine globale Supermacht zu machen? 

Ich denke, das sind realistische Ziele. Ich erwarte sogar, dass China viel früher als 2049 eine Supermacht und eine führende, globale Regeln gestaltende Macht wird. Natürlich haben größere Katastrophen und Umwälzungen, sei es in China oder im globalen Kontext, das Potenzial, Chinas Kurs entgleisen zu lassen. Aber wenn größere Katastrophen ausbleiben, ist es wahrscheinlich, dass China die USA bis Anfang der 2030er Jahre als größte Volkswirtschaft der Welt überholen wird. Und solange der Westen nicht die Kurve kriegt, indem er den sozialen und politischen Zusammenhalt wiederherstellt, seine Innovationskraft stärkt und eine effektive Gegenstrategie zu Chinas Vormarsch entwickelt, sollten wir uns auf eine chinesische Supermacht mit globaler Reichweite einstellen.

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