Kanzleramtsgebäude
Kommentar
5 Minuten Lesedauer

Deutschlands China-Politik der vergangenen Jahre

Kritische Menschenrechtsdebatten im Bundestag – pragmatische Wirtschaftspolitik im Kanzleramt

Von Ariane Reimers (Text) und Vincent Brussee (Datenrecherche)

Noch steht nicht fest, wer Deutschland in den kommenden vier Jahren regiert. Und nachdem im Wahlkampf die außenpolitischen Positionierungen der Parteien nur eine geringe oder gar keine Rolle gespielt haben, ist es schwierig vorauszusagen, welche Akzente die mögliche neue Regierung setzen wird, gerade auch in der Chinapolitik.

16 Jahre lang hat Kanzlerin Merkel die Beziehungen Deutschlands zu China geprägt. Zwar verfolgte sie in den ersten Jahren ihrer Kanzlerschaft noch einen eher werteorientierten Ansatz, empfing zum Beispiel den Dalai Lama im Kanzleramt. Aber spätestens mit der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009 schlug sie einen pragmatischen, wirtschaftsorientierten Kurs ein, der im Abschluss des CAI (Comprehensive Agreement on Investment) zwischen der EU und China Ende 2020 einen Höhepunkt fand.

Im Rückblick steht Merkel für eine an einer Partnerschaft mit China interessierte Politik, die strittige Themen, v.a. die Menschenrechtsfragen, im Rahmen der „stillen Diplomatie“ anspricht. Belohnt wurde Deutschland dafür mit einer privilegierten bilateralen Beziehung.

Die Bedeutung Chinas für die deutsche Politik ist seit 2017 stark angestiegen

Die große Frage ist, ob die neue Regierung diesen Kurs fortführen wird. Grüne und FDP – also die beiden Parteien, die sehr wahrscheinlich in einer künftigen Koalition mitregieren werden – saßen in den vergangenen Jahren in der Opposition. Und auch die SPD – obwohl in der Regierung – spielte für die vor allem aus dem Kanzleramt gesteuerte Chinapolitik nur eine kleinere Rolle. Um die Positionen der Parteien zu China zu bewerten, lohnt ein Blick auf die deutschen Chinadebatten der vergangenen Jahre, auf die Art und Weise, wie sich das deutsche Parlament mit dem Thema China beschäftigt hat.

Generell gilt, dass die Bedeutung Chinas für die deutsche Politik in den vergangenen Jahren stark angestiegen ist (Graphik 1). Besonders in der letzten Legislaturperiode – also seit 2017 – nahm der Anteil der Debatten stark zu, in denen China Erwähnung fand. Dabei steht das Land selten im Zentrum der Debatte, sondern taucht vor allem schlagwortartig auf – als Synonym für ein autokratisches System, als Antipode zu den USA, als aufstrebende Großmacht mit Expansionsgebaren.

Abbildung 1

Bemerkenswert ist, dass es immer Ereignisse in China sind, die zu einem Anstieg des Interesses in Deutschland führen. Ob die Niederschlagung der Proteste rund um den Tiananmen-Platz 1989, die Olympischen Spiele in Peking 2008 oder das Hongkonger Sicherheitsgesetz 2020 – die deutsche Politik reagiert lediglich, sie führt keine generelle strategische Diskussion, wie Deutschland seine Beziehungen zu China gestalten sollte. So erklärt sich auch, dass China nach den Olympischen Spielen 2008 zunächst aus dem deutschen Debatten-Blickfeld geriet und erst mit den wachsenden Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und den Protesten in Hongkong wieder mehr Aufmerksamkeit erfahren hat.

Deutsche Abgeordnete begegnen China mit Distanz und Kritik

Die Tonalität im Deutschen Bundestag gegenüber China ist dabei äußerst kritisch und unterscheidet sich häufig von der Positionierung der Bundesregierung. Ein Beispiel ist der Umgang mit den Sanktionen in diesem Jahr. Während die Bundesregierung sehr verhalten auf die scharfen Maßnahmen Chinas reagierte („wir nehmen zur Kenntnis”), veröffentlichten 281 Abgeordnete des Deutschen Bundestags eine Solidaritätserklärung mit den betroffenen Personen und Institutionen: „Chinas Sanktionen zielen auf die Meinungsfreiheit frei gewählter Abgeordneter und sind ein weiterer Angriff auf unsere freiheitliche Art zu leben.“

Auch ein intensiverer Blick auf die Bundestagsdebatten der vergangenen Jahre zeigt, wie distanziert und kritisch die deutschen Abgeordneten China begegnen. Dabei sind sich CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne im Bundestag in ihrer grundsätzlichen Analyse zu China weitgehend einig und positionieren sich dabei oft diametral zur Chinapolitik des Kanzleramts. Die kritischen Stimmen auf der parlamentarischen zeitigen allerdings keine realpolitischen Folgen, denn die tatsächliche Chinapolitik des Kanzleramts agiert pragmatisch und China eher zugewandt.

Dabei ist die Tonlage gegenüber China in den vergangenen Jahren immer schärfer geworden (Graphik 2). Eine Analyse der Debatten zeigt, dass in allen Themenbereichen China stärker als Konkurrent und Rivale wahrgenommen wird, weniger als Partner. Besonders auffällig ist das beim Thema Menschenrechte, aber auch im Bereich Sicherheit und geostrategische Interessen. Selbst im Kooperationsfeld Umwelt- und Klimaschutz ist der Ton rauer geworden.

Abbildung 2

Die Auseinandersetzung mit China lässt Tiefgang vermissen

Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit China gibt es in der parlamentarischen Diskussion allerdings selten, und wenn der Bundestag China zum Debattenthema macht, geht es allein um das Thema Menschenrechte. Vor dem Hintergrund, dass China einer der wichtigsten Wirtschaftspartner Deutschland ist, ist es allerdings erstaunlich, dass etwa die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen zuletzt nahezu keine Rolle im Bundestag spielen. Auch führt das deutsche Parlament trotz der wachsenden Bedeutung Chinas in der Welt keine Grundsatzdebatten zur strategischen Positionierung. Deswegen ist es auch wenig verwunderlich, dass außer den menschenrechtspolitischen Sprecher:innen der Fraktionen nur wenige Politiker:innen mit besonderer Chinakenntnis in der Debatte hervorstechen.

Die große Frage ist jetzt, ob diese chinakritische und vor allen Dingen werteorientierte Positionierung der Parteien – allen voran der Grünen und der FDP – sich auch in der zukünftigen Regierungspolitik niederschlagen wird. Nimmt man die Bundestagsdebatten der vergangenen Legislaturperiode als Muster für die künftige Chinapolitik, dann wird der Tonfall der neuen Regierung deutlich anders werden. Weil sich aber die Abgeordneten im Bundestag zuletzt vor allem mit dem Thema Menschenrechte befasst und die tatsächlichen Aspekte der deutsch-chinesischen Beziehungen, sei es in Wirtschaftsfragen oder auch über die geostrategische Ausrichtung Deutschlands und Europas, ausgeklammert haben, steht diese Prognose auf etwas wackeligen Füßen.

Auch eine Regierung Scholz könnte für einen pragmatischen China-Kurs stehen

Auch unter einem möglichen Kanzler Olaf Scholz ist es nicht unwahrscheinlich, dass die neue Regierung den pragmatisch-wirtschaftsorientierten Kurs ihrer Vorgängerin fortsetzt. Der Druck, China auch aus wirtschaftlichen Gründen realpolitisch begegnen zu müssen, könnte die bisherigen Oppositionsparteien Grüne und FDP zu einer leichten Kurskorrektur in ihrer Chinapolitik zwingen. Möglicherweise können wir dann auch in den kommen Jahren beobachten, dass Abgeordnete der Regierungsparteien im Bundestag – weitgehend wirkungslos – kritische Töne anstimmen, während das Kanzleramt mit einer weitgehend freundlichen Tonlage gegenüber China agiert.

Autor(en)
Autor(en)