An aerial view of the Alibaba Center building in Nanjing April 10, 2021
MERICS Briefs
MERICS China Essentials
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Big-Tech-Regulierung + Hongkongs neuer Regierungschef + Chinas Wirtschaft unter Druck

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Chinas Technologieunternehmen bleiben unter der strengen Aufsicht Beijings

Das harte Durchgreifen in Chinas Technologiesektor schien vorbei, als das Politbüro am 29. April ankündigte, "die Korrektur der Plattformökonomie abzuschließen". Doch das ist nicht der Fall: Bereits am 7. Mai folgten neue Vorschriften, die unter anderem Minderjährigen das Versenden virtueller Geschenke auf Livestream-Plattformen verbieten. Die neuen Regeln machen deutlich, dass eine Rückkehr zum Laissez-faire der Vergangenheit ausgeschlossen bleibt.  

Manche Entwicklungen in Chinas Digitalsektor, die in der ersten Regulierungswelle adressiert wurden, sind Beijing immer noch ein Dorn im Auge. Eingeleitet wurde die umfassende Regulierung, als die chinesischen Aufsichtsbehörden im Herbst 2020 überraschend den Börsengang von Ant Financial untersagten. Im Folgejahr wurden die Maßnahmen auf Bereiche wie Datenerfassung und Datenschutz, unlauteren Wettbewerb, soziale Stabilität, Verstöße gegen das Arbeitsrecht und den Schutz von Minderjährigen ausgeweitet. Am Ende waren fast alle großen digitalen Dienstleistungsunternehmen betroffen. 

In der neuen Phase soll nun die Aufsicht über den Technologiesektor "normalisiert" werden. Neue Vorschriften sollen langsamer eingeführt werden, damit die Unternehmen sich besser darauf vorbereiten können. Ein von Vizepremier Liu He im März vorgeschlagenes Ampelsystem soll Unternehmen signalisieren, wann sie sich in den Augen der Regierung verbessern müssen. Wer in dem System grünes Licht erhält, soll von Unterstützung profitieren können. Die Details sind jedoch noch unklar. Veröffentlicht wurde bislang nur im Januar ein Hinweis der staatlichen Verwaltung für Marktreformen, im Zusammenhang mit Vorschriften gegen Monopolbildung.  

Das Politbüro forderte bei dem Treffen Ende April erneut eine "gesunde Entwicklung der Plattformwirtschaft". Dieser Begriff ist seit seiner ersten Erwähnung 2018 fester Bestandteil von Beijings Regulierungs-Rhetorik. Das dürfte er auch bleiben, wobei sich eine Verschiebung der Betonung von "gesund" im Sinne der politischen Ziele der KPC zu "Entwicklung" im wirtschaftlichen Sinne abzeichnet.

Unterstützung für die Plattformökonomie ist in Sicht: Die Anreize sind dabei jedoch stets verknüpft mit den Bemühungen der Regierung, Daten für nationale strategische Ziele zu nutzen, auch für die Modernisierung der Industrie. Vermutlich auch, weil Covid-Lockdowns in chinesischen Städten und Regionen das Wirtschaftswachstum gefährden, betonte das Politbüro die Bedeutung der Schaffung von Arbeitsplätzen. Zuletzt hatte die Digitalbranche viele Stellen gestrichen – ausgerechnet zu einer Zeit, in der eine große Zahl von Hochschulabsolventen auf den Arbeitsmarkt drängt. 

MERICS-Analyse: "Beijings hartes Durchgreifen im Technologiesektor ist ein Zeichen dafür, welche wichtige Rolle dieser Branche für nationale Vorhaben beigemessen wird", sagt Jeroen Groenewegen-Lau, MERICS-Experte für Wissenschaft, Technologie und Innovation in China. "Tech-Firmen bemühen sich derzeit, ihre Loyalität und aktive Unterstützung für die Prioritäten der Regierung zu demonstrieren. Das gilt für Ziele wie die Wiederbelebung des ländlichen Raums, das Erreichen allgemeinen Wohlstands, für die wichtige Halbleiterproduktion und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Beijing wird die Branche weiter drängen, sich konform zu verhalten. Auch wenn die Regulierungswelle abebbt: die Zeit, in der Chinas Tech-Branche sich in rechtlichen Grauzonen rasant entwickeln konnte, ist vorbei. Was das für Chinas Innovationsambitionen bedeutet, wird sich erst zeigen." 

Mehr zum Thema: Lesen Sie die Kurzanalyse von Kai von Carnap und Valarie Tan über „Chinas Regulierungswelle im Technologiesektor“

Medienberichte und Quellen:

METRIX

50 Millionen

So viele im Ausland hergestellte und in Behörden sowie staatlichen Schlüsselunternehmen genutzte Computer will Beijing durch einheimische Geräte ersetzen. Die Maßnahme, die auch auf ausländische Software angewandt wird, ist die letzte Stufe einer dreijährigen Kampagne zum vollständigen Ersatz aller ausländischen Computer und Betriebssysteme. Im Rahmen des „30-50-20“-Plans wurden 30 Prozent im Jahr 2020, 50 Prozent im Jahr 2021 und die restlichen 20 Prozent im Jahr 2022 ersetzt. Offiziell soll durch die Austauschaktion die Cybersicherheit verbessert werden. Doch sie ist auch Teil einer Industriepolitik, die darauf abzielt, die Nachfrage nach einheimischen Technologieprodukten anzukurbeln. Denn langfristig strebt Beijing nach technologischer Autarkie.

THEMEN

Ehemaliger Sicherheitschef als neuer Regierungschef von Hongkong bestätigt

Die Fakten: Hongkongs ehemaliger Sicherheitschef John Lee ist offiziell als neuer Regierungschef (Chief Executive) der Stadt bestätigt worden. Der politische Hardliner war maßgeblich am harten Vorgehen gegen pro-demokratische Aktivisten beteiligt und wurde von der US-Regierung mit Sanktionen belegt. Lee erhielt mehr als 99 Prozent der Stimmen des Wahlgremiums, dessen Mitglieder er zuvor selbst überprüft hatte. Erstmals seit zwanzig Jahren trat nur ein einziger Kandidat an, die Wahl war damit letztlich nur eine Bestätigung der Personalie. Lee ist der erste ehemalige Polizist an der Spitze Hongkongs, die meisten seiner Vorgänger kamen aus der Wirtschaft oder der Politik. Kurz nach Lees Wahlsieg wurden der 90-jährige Kardinal Joseph Zen und drei weitere bekannte Bürgerrechtler wegen „Komplizenschaft mit ausländischen Kräften“ festgenommen. 

Der Blick nach vorn: Lee soll am 1. Juli vereidigt werden, dem 25. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China. Er will Sicherheit und die Integration in die Volksrepublik zu den Prioritäten seiner Amtszeit machen. Mit dem Verweis auf Artikel 23 der Hongkonger Verfassung (Basic Law) dürften unter Lee bald weitere Sicherheitsgesetze in Hongkong verabschiedet werden. Es ist zu erwarten, dass dann auch vermeintlicher Hochverrat oder Spionage ausländischer Organisationen von den Behörden stärker ins Visier genommen werden. Die Einführung lokaler Sicherheitsgesetze wurde in den letzten Jahrzehnten wiederholt durch öffentliche Proteste blockiert. Im öffentlichen Dienst will Lee zudem über ein neues "Belohnungs- und Bestrafungssystem" die Effizienz der Verwaltung verbessern. Da Lee nur wenig Wirtschaftserfahrung hat, wird er auch in diesem Bereich wahrscheinlich Beijings Vorgaben folgen. Es ist deshalb fraglich, ob Hongkong seinen Status als dynamisches, globales Finanzzentrum halten kann.

MERICS-Analyse: "Wenn Beijing im Angesicht einer schrumpfenden Wirtschaft, einer steigenden Arbeitslosigkeit und Abwanderung von Einwohnern, Kapital und Unternehmen einen Kandidaten wie John Lee unterstützt, zeigt dies, dass Sicherheit in Hongkong weiterhin oberste Priorität vor allem anderen hat", sagt MERICS-Analystin Valarie Tan. "Die chinesische Führung hat Hongkong voll im Griff und wird die Kontrolle weiter verschärfen, bis sich die Stadt vollständig seiner Herrschaft unterwirft."

Medienberichte und Quellen:

Nach Höhenflug in der Pandemie gerät Chinas Wirtschaft in Abwärtsspirale

Die Fakten: Die Omikron-Ausbrüche, die weite Teile Chinas heimsuchen, erweisen sich als lähmend für die Wirtschaft. Am 3. Mai stufte Fitch Ratings Chinas BIP-Prognosen von 4,8 Prozent auf 4,3 Prozent herab. Gleichzeitig schrumpften die Einzelhandelsumsätze im März zum ersten Mal seit Mitte 2020 um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Während der schwache Binnenkonsum in den letzten beiden Jahren noch durch massives Exportwachstum aufgefangen wurde, lag die Exportwachstumsrate im April bei nur 3,9 Prozent – gegenüber 32,3 Prozent im Vorjahresmonat. Der Einkaufsmanagerindex (EMI) sank von 49 im Februar auf 41,6 im April. Die Befragten blicken pessimistischer auf die Aussichten im verarbeitenden Gewerbe.

Der Blick nach vorn: Die spürbaren Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit zeigen sich in von der EU- und der US-Handelskammer in China Mai veröffentlichten Umfragen über die Folgen der Omikron-Ausbrüche auf ihre Mitglieder. Der Umfrage der europäischen Kammer zufolge haben 60 Prozent der Befragten ihre Umsatzerwartungen für 2022 nach unten korrigiert. 92 Prozent berichteten über negative Auswirkungen auf Logistik und Lieferketten. Aus der Umfrage der US-Handelskammer lässt sich schließen, dass die Lieferketten durch die Lockdowns so stark gestört wurden, dass auch Unternehmen in Regionen ohne Omikron die Auswirkungen spüren. 

MERICS-Analyse: “Chinas ‚Dynamische Null-Covid-Strategie‘ erwies sich als erfolgreich gegen frühere Virusvarianten und zahlte sich wirtschaftlich aus. Nach einer anfänglichen Abschottung des ganzen Landes kam es damals zu einer starken V-förmigen Erholung der Wirtschaft ", sagt MERICS-Experte Jacob Gunter. "Omikron erweist sich als ganz andere Herausforderung, auf die China erst noch eine Reaktion entwickeln muss. Die ständigen Abriegelungen führen China in eine womöglich weit dramatischere wirtschaftliche Situation als während der landesweiten Abriegelung Anfang 2020. Selbst wenn manche Städte bereits wieder die Beschränkungen aufheben, manche Zulieferer und Kunden schließen sich weiter ab. Die Fabrik der Welt wieder zum Laufen zu bringen, wird dieses Mal deutlich schwieriger sein."   

Medienberichte und Quellen:

Wahlerfolg von Marcos auf den Philippinen: Eine gute Nachricht für China?

Die Fakten: Der Erdrutschsieg von Ferdinand "Bongbong" Marcos Jr. bei den philippinischen Präsidentschaftswahlen wird in China als gute Nachricht gewertet. Zhang Tiegen, ein ehemaliger Diplomat und Analyst bei der China Foundation for International Studies, bezeichnete Marcos als "den chinafreundlichsten der zehn Präsidentschaftskandidaten". Von ihm wird erwartet, dass er am Kurs der Annäherung seines Landes an China weitgehend festhält. Marcos dürfte zwar zugleich das Sicherheitsbündnis mit den USA aufrechterhalten, doch auch engere wirtschaftliche Beziehungen mit Beijing anstreben. In China hofft man, dass Marcos sich im Wettbewerb zwischen den USA und China nicht für eine Seite entscheiden wird und dass er sogar dazu beitragen könnte, ein Urteil eines internationalen Gerichtshofs von 2016 aufzuheben, das Beijings Territorialansprüche im Südchinesischen Meer zurückgewiesen hatte. 

Der Blick nach vorn: Die weitere Entwicklung wird von mehreren Faktoren abhängen. Sollte Beijing seine Ansprüche auf die von Manila beanspruchten Seegebiete ausweiten, dürften die Beziehungen zu den Philippinen darunter leiden, wie das bereits in der zweiten Hälfte der Präsidentschaft von Rodrigo Duterte der Fall war. Darüber hinaus könnte die verbreitete Skepsis gegenüber China in der philippinischen Bevölkerung und unter Beamten Marcos dazu veranlassen, eine härtere Linie gegenüber Beijing einzuschlagen.

MERICS-Analyse: "Ähnlich wie unter Duterte wird die Zukunft der chinesisch-philippinischen Beziehungen in hohem Maße davon abhängen, was Beijing Manila anbieten kann", sagt MERICS Research Fellow Thomas des Garets Geddes. "Sollte China den Philippinen großzügige Infrastruktur- und Investitionshilfe anbieten und gleichzeitig sein aggressives Auftreten im Südchinesischen Meer einschränken, wäre eine erneute Verbesserung der Beziehungen denkbar. Beides war in den vergangenen Jahren aber nicht der Fall. Marcos war sicherlich der bessere Kandidat für China, aber er ist kein Garant für eine zunehmende Annäherung zwischen beiden Seiten."

Medienberichte und Quellen:

Im Profil

Shen Yiqin – eine der wenigen Frauen mit Aussicht auf politische Spitzenposition

In der männlich dominierten politischen Elite Chinas ist Shen Yiqin eine der wenigen Frauen, die auf dem alle fünf Jahre stattfindenden Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) in diesem Jahr die Chance haben, in eine Führungsposition in der Zentralregierung aufzusteigen. Als Parteisekretärin von Guizhou ist die 62-Jährige die einzige Frau mit einer Spitzenposition in einer Provinz.

Würde Shen an die Spitze einer wichtigen Provinz oder regierungsunmittelbaren Stadt wie Chongqing oder auf einen Posten im zentralen Parteiapparat befördert, könnte sie sich sogar einen Sitz im 25-köpfigen Politbüro sichern. Ob, und von wem, Frauen künftig in Chinas Machtzentrum vertreten sein werden, ist ungewiss. Das einzige weibliche Politbüromitglied, Vizepremier Sun Chunlan, wird nächstes Jahr in den Ruhestand gehen. Eine weitere Anwärterin ist die stellvertretende Außenministerin Hua Chunying, wobei ein Sprung von ihrer derzeitigen Position direkt in die zentrale Führungsebene überraschend wäre.  

Die aus Guizhou stammende Shen, die der ethnischen Minderheit der Bai angehört, hat ihre gesamte Karriere in ihrer Heimatprovinz im Südwesten Chinas absolviert. Ihre mangelnde Erfahrung in der Zentralregierung mindert ihre Chancen auf eine Beförderung.
Aber Shen hat ihre gesamte Karriere der KPC gewidmet, und das könnte von Vorteil sein. Sie hatte einflussreiche Posten in der Kommission für politische und rechtliche Angelegenheiten von Guizhou inne. Sie arbeitete eng mit Chen Min'er zusammen, der als Vertrauter von Xi Jinping gilt und immer wieder als möglicher Nachfolger gehandelt wird. Das chinesische Sprichwort, nach dem "Frauen die Hälfte des Himmels tragen", wird von der politischen Spitze nicht gelebt, daran würde auch eine Beförderung Shens nichts ändern.

Medienberichte und Quellen:

MERICS China Digest

Handels- und Technologierat der EU und USA tagt am 15. und 16. Mai in Frankreich (Reuters) 

Das zweite Treffen des Handels- und Technologierats der EU und USA (TTC) findet am Wochenende in Paris statt. Auf der Agenda werden voraussichtlich Themen wie die Sicherheit und Resilienz von Lieferketten für kritische Rohstoffe und Chips, Exportkontrollen und Technologiestandards sowie auch das Thema Desinformation stehen. Im Fokus des Treffens dürften Russland und die Suche nach einer gemeinsamen Antwort auf die Invasion in der Ukraine stehen – etwa weitere Sanktionen oder Exportkontrollen. Doch auch der Umgang mit China dürfte thematisiert werden: Die USA und die EU streben danach, die strategische Abhängigkeit von autoritär regierten Ländern zu verringern und unerwünschte Technologietransfers zu unterbinden. (21.02.2022)

Behörden in Xinjiang sollen Uiguren für Aufführung vor Moschee in Kashgar bezahlt haben (Radio Free Asia)

Die Behörden in Kashgar sollen laut Berichten von Radio Free Asia Angehörige der uigurischen Minderheit dafür bezahlt haben, am Ende des Fastenmonats Ramadan einen Tanz vor der berühmten Moschee der Stadt aufzuführen. Videoaufnahmen wurden auf dem YouTube Kanal eines parteistaatlichen Mediums veröffentlicht. Im Mai wird die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet in Xinjiang erwartet. (05.05.22)

China reagiert auf Tedros-Kritik an der Null-Covid-Strategie (Bloomberg)

China hat die Kritik von WHO-Direktor Tedros an seiner strengen und aktuell mit zahlreichen Lockdowns verbundenen Null-Covid-Strategie zurückgewiesen. Tedros hatte diese als “nicht nachhaltig” bezeichnet und gesagt, dass er einen Wechsel der Strategie für „sehr wichtig“ halte. (11.05.22)

Australien besorgt über chinesische Pläne auf Salomon-Inseln (The Diplomat)

Der australische Premierminister Scott Morrison hat sich kritisch zu Medienberichten geäußert, nach denen China auf den Salomon-Inseln Schiffswerften bauen und Unterwasserkabel verlegen lassen will. China und der Inselstaat im Südwestpazifik hatten kürzlich bestätigt, ein Sicherheitsabkommen geschlossen zu haben. (09.05.22)