A security guard wearing a protective suit stand watch over a barricaded community that was locked down for health monitoring following the COVID-19 case detected in the area, Tuesday, March 22, 2021, in Beijing
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Chinas Wirtschaft unter Druck + Ukraine + Covid-Ausbrüche in China

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Finanzmarkt-Turbulenzen, Ukraine-Invasion und Covid-Ausbrüche setzen Chinas Wirtschaft unter Druck

Nicht nur der Krieg in der Ukraine und die aufflammende Covid-Pandemie setzen Chinas Wirtschaft und Finanzmärkte derzeit unter Druck: Wie einige weitere Immobilienunternehmen vertagte der chinesische Immobilienriese Evergrande die für Ende des Monats geplante Veröffentlichung seines Jahresberichts auf unbestimmte Zeit. Dies gab Evergrande am 22. März bekannt, kurz nachdem der Handel mit Anleihen des Unternehmens ausgesetzt wurde. Als Reaktion darauf pfändeten chinesische Banken 2,1 Milliarden Euro der Einlagen des Unternehmens als Drittgarantie. Da innerhalb von drei Wochen Anleihezahlungen in Höhe von umgerechnet fast vier Milliarden US-Dollar fällig werden, rückt das hochverschuldete Bauunternehmen immer näher an die Insolvenz heran. 

Die Turbulenzen im chinesischen Immobiliensektor sind nur eine von vielen Erschütterungen, die Chinas Wirtschaft derzeit zusetzen – und damit auch Xi Jinping unter Druck bringen, der sich in diesem Jahr für eine dritte Amtszeit als Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chinas bestätigen lassen will.

Das Vertrauen chinesischer Unternehmen, ein Indikator für Investitionsbereitschaft, ist durch die aktuellen Entwicklungen erschüttert worden. Die russische Invasion in der Ukraine und die Sanktionen der USA und der EU gegen Russland haben dazu geführt, dass chinesische Unternehmen mit Sekundärsanktionen zu kämpfen haben. Mehrere Omikron-Ausbrüche haben die Lieferketten und die Verbrauchernachfrage in den betroffenen chinesischen Städten unterbrochen. 

Zudem setzten die US-Behörden eine Frist für neue Meldevorschriften fest, wodurch in den USA gelistete chinesische Unternehmen nun von den US-Börsen ausgeschlossen werden müssen. Und zugleich hat die chinesische Aufsichtsbehörde für Cybersicherheit ihr hartes Durchgreifen im Technologiebereich mit noch strengeren Vorschriften und strengeren Regeln für Börsengänge in Übersee fortgesetzt.

All das bringt die chinesischen Finanzmärkte ins Wanken. Nachdem der Börsenindex CSI300 in der ersten Märzhälfte um 14 Prozent eingebrochen war, griff Beijing ein. In einer Sitzung des Staatsrats-Ausschusses für Finanzstabilität und Entwicklung kündigte Vize-Ministerpräsident Liu He neue Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur und Unterstützung von Unternehmen bei Börsengängen im Ausland an. Der Index legte danach rasch um fünf Prozent zu, liegt aber immer noch acht Prozent unter dem Stand vom Monatsanfang.

Die Intervention Beijings deutet darauf hin, dass die chinesische Führung ihre Strategie überdenken könnte. Die Regulierungswelle in der Immobilien- und Technologiebranche, die 2021 unter anderem das Ende des privaten Nachhilfesektors einleitete, hat gezeigt, dass Beijing erhebliche wirtschaftliche Kosten für politische Ziele in Kauf nimmt. Möglicherweise wird dieser Preis jedoch derzeit als zu hoch angesehen, so dass Beijing nicht ganz so hart durchgreift, um die Wachstumsziele zu halten und die wirtschaftliche Stabilität zu wahren.

MERICS-Analyse: "Xi Jinping hat einen schwierigen Start in das Jahr des Tigers erwischt. Ausgerechnet jetzt, wo er die reibungslose Verlängerung seiner Amtszeit einleiten muss, ist Chinas Wirtschaft mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert", sagt MERICS-Experte Jacob Gunter. "Da Beijing im Vorfeld des Parteitags im November die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität sicherstellen will, dürften längerfristige Ziele wie der Schuldenabbau und die Dekarbonisierung der Wirtschaft auf die lange Bank geschoben werden. Stattdessen wird sich Beijing darauf konzentrieren, das Wachstum anzukurbeln und die Wirtschaft stabil zu halten.“

Medienberichte und Quellen:

GRAFIK DER WOCHE

Am 11. März gingen in Beijing die „Zwei Sitzungen“ zu Ende: der Nationale Volkskongress (NVK) und die Politische Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (CPPCC). Die wichtigsten Ergebnisse haben wir hier für Sie zusammengefasst:

METRIX

1.34 Milliarden

So viele Nutzerkonten wurden auf chinesischen Online-Plattformen im Jahr 2021 gelöscht. Die chinesische Cyberspace-Verwaltung (CAC) gab am 17. März die Ergebnisse ihrer „Klar und hell“-Kampagne (清朗) bekannt, mit der sie den "chaotischen Cyberspace" aufräumen und ein "zivilisiertes Internet" aufbauen will. Die Kampagne bestand aus acht Aufgaben, darunter die Zensur von “historischem Nihilismus“, die Bekämpfung von Online-Betrug und des überbordenden Einsatzes von Pop-up-Fenstern. Zusätzlich zu den Nutzerkonten wurden 22 Millionen Beiträge gelöscht, 7200 Video-Streams gesperrt und 3200 Websites abgeschaltet. Die CAC will die Kampagne in diesem Jahr weiter ausdehnen und Empfehlungsalgorithmen und Multikanal-Netzwerke ins Visier nehmen. (Quelle: People’s Daily [CN])

THEMEN

Beijings Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine ist vorrangig von innenpolitischen Erwägungen bestimmt

Die Fakten: Das Telefonat zwischen Joe Biden und Xi Jinping am 18. März hat deutlich gemacht, wie weit die Positionen der USA und Chinas zur russischen Invasion in der Ukraine auseinanderliegen. Während Xi die konstruktive Rolle seines Landes lobte, kritisierte er die "weitreichenden und willkürlichen Sanktionen" gegen Russland und wiederholte seine Kritik an der Rolle der NATO bei der Auslösung dieser Krise. Er forderte die USA auf, "die Mentalität des Kalten Krieges abzulegen“. Zuvor hatte Biden Beijing vor den Folgen einer Unterstützung Russlands gewarnt. Medienberichten zufolge soll Moskau Beijing um militärische Hilfe gebeten haben.

Xi forderte im Gespräch mit Biden erneut eine diplomatische Lösung des Konflikts – die EU erwähnte er dabei nicht. Er rief lediglich die NATO und die USA zum Dialog mit Russland auf, um den "Kern" des Problems anzugehen. Europäischen Akteuren sollte das zu denken geben. Beijing betrachtet Europa offensichtlich nicht als zentralen Akteur in dem Konflikt.

Der Blick nach vorn: Der EU-China-Gipfel am 1. April wird eine wichtige Gelegenheit, sich zum Einmarsch Russlands in die Ukraine auszutauschen. Die offizielle Position Chinas lässt jedoch keine positiven Fortschritte erwarten. Europa sollte davon ausgehen, dass Beijing weiter innenpolitische Erwägungen priorisiert und dafür die Verschlechterung seiner Reputation oder seiner Beziehungen zum Westen in Kauf nehmen wird.

MERICS-Analyse: "Beijings Sicht auf diese Krise ist geprägt durch seine eigenen Interessen und den geopolitischen Wettbewerb. Indem es die USA beschuldigt, den Krieg angezettelt zu haben, versucht China, sich als Alternative zu positionieren, als verantwortungsvolle Macht, die den Frieden und nicht den Krieg sucht. Diese Darstellung steht im Gegensatz zu Beijings mangelnder Bereitschaft, das Vorgehen Russlands zu verurteilen. Die chinesische Führung scheint auch bereit zu sein, Reputationsschäden in Kauf zu nehmen und andere strategische Überlegungen außer Acht zu lassen, um seine eigenen Narrative zu verbreiten und im Vorfeld des 20. Parteitags für Stabilität im Land zu sorgen,“ sagt MERICS-Expertin Helena Legarda.

Medienberichte und Quellen:

China stößt an die Grenzen der „dynamischen Null-Covid“-Strategie

Die Fakten: Nach einem starken Anstieg der Covid-19-Infektionen sind in China bis zu 37 Millionen Menschen in Quarantäne. Viele haben in den sozialen Medien ihre Frustration über die Test- und Quarantänevorschriften zum Ausdruck gebracht. Die Geduld der Menschen mit der "dynamischen Null-Covid"-Strategie des Landes scheint am Ende zu sein. Anfang März gab es Ausbrüche in Großstädten wie Shenzhen und Shanghai. In Shanghai stellten die Schulen wieder auf Online-Unterricht um. Andernorts mussten Fabriken und Unternehmen den Betrieb für mindestens eine Woche einstellen, bis durch Massentests positive Fälle entdeckt und isoliert werden können. Partei- und Staatschef Xi Jinping wies die Behörden an, an den strikten Maßnahmen festzuhalten. 

Der Blick nach vorn: Aufgrund der niedrigen Impfraten, insbesondere bei älteren Menschen, besteht in China die Gefahr, dass die hochinfektiöse Omikron-Variante zu weiteren Ausbrüchen und Todesfällen führt. Die Hälfte der über 80-Jährigen ist nicht geimpft, nur etwa ein von ihnen Fünftel hat die Auffrischungsimpfung erhalten. Untersuchungen zufolge sind in China hergestellte Impfstoffe weniger wirksam beim Verhindern tödlicher Verläufe als mRNA-Impfstoffe. Neue proteinbasierte Impfstoffe und Medikamente sollen demnächst verfügbar sein, doch mRNA-Impfstoffe sind in Festlandchina nicht zugelassen. In Hongkong, dessen Impfquoten und Altersstruktur mit China vergleichbar sind, machen ältere Menschen die Hälfte der in der jüngsten Welle verstorbenen Covid-Patienten aus. Der Ausbruch hatte eine der höchsten Todesraten weltweit.

MERICS-Analyse: „Beijing macht angesichts der wachsenden öffentlichen Frustration nur zögerlich Zugeständnisse und versucht, die wirtschaftliche und soziale Stabilität nicht zu gefährden. Die unzureichenden Impfquoten, die höhere Ansteckungsgefahr durch Omikron und die strikten Maßnahmen werden voraussichtlich Wirtschaft und Gesellschaft stark belasten. Die Regierung könnte sich daher gezwungen sehen, ihre Strategie anzupassen. Beijing wird dennoch alle Hebel in Bewegung setzen, um zu verhindern, dass sich ein Ausbruch wie in Hongkong auf dem Festland wiederholt..“, sagt MERICS-Expertin Sophie Reiß.

Medienberichte und Quellen:

IM PROFIL

Le Yucheng: Russland-Experte mit scharfer Zunge könnte Chinas nächster Außenminister werden

Le Yucheng (乐玉成) wird als potenzieller Nachfolger von Außenminister Wang Yi gehandelt, der voraussichtlich auf dem Nationalen Volkskongress im nächsten Jahr in den Ruhestand treten wird. 

Nach seinem Russisch-Studium arbeitete Le in chinesischen Botschaften in der Sowjetunion und später in Russland. Später wechselte er in die Abteilung für eurasische Angelegenheiten des Außenministeriums. 2019 wurde er zum stellvertretenden Außenminister ernannt und ist seither eine der wichtigsten Stimmen des Ministeriums zu den chinesisch-russischen Beziehungen.

In den letzten zwei Jahren absolvierte Le einige öffentlichkeitswirksame Auftritte im In- und Ausland. Er spricht verstärkt zu einer breiten Palette außenpolitischer Themen, was darauf hindeutet, dass er für eine höhere Position vorgesehen ist. Le zählt zwar nicht zur Kategorie der besonders scharfzüngigen "Wolfskrieger"-Diplomaten. Doch sendet er verstärkt klare Botschaften zu internationalen Themen – etwa um die USA für die Unterstützung von „taiwanischen Abtrünnigen" und die Aushöhlung der Souveränität Chinas zu kritisieren. Sein letzter verbaler Coup: Er machte die NATO-Erweiterung für den Krieg in der Ukraine verantwortlich. Die NATO, so formulierte er jüngst, hätte sich wie der Warschauer Pakt seinerzeit auflösen sollen.

In der Kommunistischen Partei ist Le bestens vernetzt. Er war von 2016 bis 2018 Stellvertreter von Staatsrat Yang Jiechi im Büro der Zentralen Führungsgruppe für Auswärtige Angelegenheiten (jetzt Kommission), bevor er zum Vizeaußenminister befördert wurde. Unmittelbar vor Xi Jinpings erstem Besuch in Indien 2014 wurde Le dort Botschafter, was einige als Zeichen von Xis Unterstützung werteten. Der 58-Jährige gehört zu Chinas neuer Generation von Spitzendiplomaten – und seine Russland-Expertise könnte für Beijing angesichts des wachsenden Wettbewerbs mit dem Westen überaus nützlich sein.

Bei einem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Igor Morgulow im Dezember 2021 nahm er die Entwicklungsrichtung der chinesisch-russischen Beziehungen vorweg. Die Freundschaft zwischen den beiden Ländern habe "keine Grenzen“, die Zusammenarbeit kenne „keine verbotenen Bereiche“ und das „gegenseitige Vertrauen keine Obergrenzen“, sagte er damals. Genau diese Linie wurde in der gemeinsamen chinesisch-russischen Erklärung von Xi und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vom 4. Februar aufgegriffen. Lis öffentliche Sichtbarkeit ist ein klares Indiz dafür, dass er in Chinas außenpolitischem Apparat weiter eine wichtige Rolle spielen wird.

MERICS CHINA DIGEST

Flugzeugabsturz in China: Was wir über die verunglückte Boeing 737 wissen (Wall Street Journal)

Am Montag, den 21. März ist ein Flugzeug der China Eastern Airlines in einer gebirgigen Gegend im Süden Chinas abgestürzt. An Bord waren mehr als 130 Menschen. Die Unfallursache ist nicht bekannt. (23.03.2022)

Was wird China globale Technologiestandards prägen? (ChinaFile)

In dieser Debatte von ChinaFile diskutieren Experten die möglichen Folgen von Chinas zunehmendem Einfluss auf globale Technologiestandards und wie andere Länder darauf reagieren könnten. (22.03.2022)

Das Nickel-Imperium (The Wire China)

Das chinesische Unternehmen Xiang Guangda verlor aufgrund von Preisschwankungen auf dem globalen Nickelmarkt acht Milliarden US-Dollar. The Wire China recherchierte zu den die wichtigsten Akteure der chinesischen Nickel-Industrie. (2022/03/20)

China verzeichnet niedrigere Scheidungsrate, aber auch weniger Eheschließungen (The New York Times)

Laut offiziellen Angaben ist die Scheidungsrate in China dank eines neuen Gesetzes zurückgegangen. Zugleich entscheiden sich aber weniger Menschen zur Heirat. (23.03.2022)