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MERICS China Essentials
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Deutsche China-Politik + Datensicherheitsgesetz + Hongkong

Top Story: Veränderung in der deutschen Chinapolitik? Ein Blick in die Wahlprogramme

Die Ära Merkel neigt sich ihrem Ende entgegen. In drei Monaten stehen in Deutschland Bundestagswahlen an, im Herbst wird eine neue Person ins Kanzleramt einziehen. In welchem Ausmaß ein zukünftiger Kanzler Laschet (CDU) oder eine zukünftige Kanzlerin Baerbock (Grüne) den Kurs der Chinapolitik Deutschlands verändern wird, lässt sich bisher nur mutmaßen.

Deswegen lohnt ein Blick in die Wahlprogramme der deutschen Parteien. Anders als in vorangegangenen Wahlkämpfen spielt China diesmal eine größere Rolle, die Parteien widmen ihrer Chinapolitik ein ganzes Kapitel oder zumindest einen längeren Absatz. Das ist neu.  

Nahezu alle werfen einen kritischen Blick auf China, im Mittelpunkt stehen geostrategische Herausforderungen, Marktzugangsbedingungen und die Situation der Menschenrechte. Und doch setzen alle Parteien eigene Akzente. Während die CDU/CSU vor allem die außen- und sicherheitspolitische Herausforderung betont, die China darstellt, legen die Grünen ihren Schwerpunkt auf die Menschenrechtslage einerseits und die Notwendigkeit eines Klimadialogs andererseits. 

Auch die SPD verurteilt die Situation in Xinjiang und Hongkong, streicht aber stärker ihre Dialogbereitschaft heraus. Die FDP lässt sich in ihrem Programm sehr umfänglich zu China ein, im Zentrum stehen Menschenrechtsverletzungen, Rechtssicherheit und ein Ausbau der Beziehungen zu Taiwan. Die Linke hält sich mit Kritik an China zurück, sucht eher eine äquidistante Position. Die AfD schließlich formuliert widersprüchlich, propagiert die Teilnahme Deutschlands an der Seidenstraßen-Initiative (BRI), kritisiert aber die Einmischung Chinas über die Konfuzius-Institute.  

Die vier potentiell an der zukünftigen Bundesregierung beteiligten Parteien CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP sind sich weitgehend darin einig, dass die Chinapolitik europäisch sein muss. Außerdem fordern sie einhellig faire Wirtschaftsbeziehungen, also einen gegenseitigen Marktzugang unter gleichen Bedingungen und Rechtssicherheit, wobei die SPD an dieser Stelle nur sehr allgemein formuliert. Deutlich bei allen vier Parteien auch der Wunsch, Europa vor allem in den Bereichen Digitalisierung und Technologie wettbewerbsfähiger zu machen.  

CDU/CSU und Grüne bewegen sich in einigen Punkten im Gleichklang, etwa bei der grundsätzlichen Einordnung – beide nutzen den Dreiklang „Wettbewerber, Partner, systemischer Rivale“ – und zwar in dieser Reihenfolge. Beide sprechen in ihrem Wahlprogramm explizit davon, China auch transatlantisch zu begegnen, vor allem wenn es um den Schutz von Daten und Netzsicherheit geht.  

Dafür findet sich im Programm der Unionsparteien kein Wort zur Menschenrechtslage – hier lassen sich hingegen deutliche Überstimmungen bei SPD, Grünen und FDP erkennen. Vor allem die beiden heutigen Oppositionsparteien gehen in diesem Punkt weiter ins Detail, etwa wenn es um Zwangsarbeit und die Einhaltung von ILO-Normen geht, die technische Überwachung der Bevölkerung oder die Situation in Hongkong. Dass Grüne und FDP sich hier weitgehend einig sind, zeigt auch ein gemeinsamer Namensartikel von Reinhard Bütikofer (MdEP, Grüne) und Olaf in der Beek (MdB, FDP) zum Thema.  

Geht man von den Wahlprogrammen aus, so ist nach der Wahl durchaus eine Veränderung in der Chinapolitik zu erwarten. So steht eine stärkere europäische Ausrichtung im leichten Gegensatz zu der vor allem bei den Wirtschaftsinteressen bisher bilateral ausgerichteten deutschen Chinapolitik. Auch in der Debatte um 5G sprechen sich die Parteien zumindest implizit für eine europäische Lösung aus, warnen vor einer Abhängigkeit in der Digitaltechnik. Sollten FDP und Grüne an der künftigen Bundesregierung beteiligt sein, so ist generell eine härtere Gangart gegenüber China wahrscheinlich.

Wahlprogramme sind allerdings nur Absichtserklärungen – in welche Richtung sich die zukünftige Chinapolitik tatsächlich bewegt, wird sich erst in den Koalitionsverhandlungen herauskristallisieren.   

Mehr zum Thema: Lesen Sie auch die Kurzanalyse von Barbara Pongratz über „Deutschlands nächste China-Politik“ (in englischer Sprache).

Medienberichte und Quellen:

Chinas Regierung verschärft mit Datensicherheitsgesetz Kontrolle über Tech-Sektor

Die Fakten: Chinas neues Datensicherheitsgesetz (Data Security Law, DSL) zielt darauf ab, Datenaktivitäten umfassend zu regulieren und die Datensicherheit zu verbessern. Zugleich soll es die Digitalisierung von Chinas Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch der Regierungsführung der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) unterstützen. Das am 10. Juni formell verabschiedete Gesetz, das am 1. September in Kraft tritt, gilt nicht nur für Datenaktivitäten innerhalb, sondern auch außerhalb Chinas, wenn diese als schädlich für die nationale Sicherheit, das öffentliche Interesse oder die rechtlichen Interessen chinesischer Bürger und Organisationen angesehen werden. Im Zentrum des Gesetzes steht die nationale Sicherheit, zuständig für die Entscheidungsfindung ist die mächtige Zentrale Staatssicherheitskommission – ein Organ der KPC unter der Führung von Staats- und Parteichef Xi Jinping.

Der Blick nach vorn: Das Gesetz ist ein Meilenstein in einem komplexen und wahrscheinlich langwierigen Prozess zum Aufbau eines Datensicherheitssystems. In den kommenden Monaten und Jahren sind spezifische Regeln zu erwarten, die die Umsetzung der Richtlinien konkretisieren werden. Das Gesetz sieht die Einführung eines Systems zur Klassifizierung von Daten nach ihrer Bedeutung im Kontext der nationalen Sicherheit, des öffentlichen Interesses sowie der „wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung“ Chinas vor. Es wird erwartet, dass Aufsichtsverbände der Industrie und Lokalregierungen Richtlinien für den Prozess der Datenklassifizierung entwickeln werden.

Sowohl chinesische als auch ausländische Firmen werden erhebliche Ressourcen investieren müssen, um die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten, nicht nur beim Umgang mit Daten in China, sondern auch beim Datentransfer ins Ausland. Bereits jetzt drohen nach dem chinesischen Cybersicherheitsgesetz Unternehmen hohe Geldstrafen oder sogar der Entzug der Geschäftslizenz, wenn sie ohne Genehmigung „wichtige Daten“ exportieren.

Die derzeitig verschärften geopolitischen Spannungen könnten dazu beitragen, dass die zuständigen Regulierungsbehörden bei der Umsetzung des Gesetzes ausländische Unternehmen unter Druck setzen. Das neue Gesetz schafft eine neue, besonders streng zu regulierende Kategorie „nationaler Kerndaten“. Diese ist vage definiert und schafft so bedeutende Ermessensspielräume. Darüber hinaus schafft das Gesetz Handlungsspielräume für die chinesische Regierung für den Fall, dass eine ausländische Regierung die Datenaktivitäten oder datenbezogene Technologien chinesischer Unternehmen einschränkt.

MERICS-Analyse: „Das Datensicherheitsgesetz spiegelt die Auffassung der KPC wider, dass Daten sowohl ein Produktionsfaktor als auch eine strategische Ressource sind, deren Sicherheit für die Sicherheit des Staates entscheidend ist. Es muss in erster Linie als ein Werkzeug zur Sicherung und Stärkung der Macht der Partei gelesen werden. Als solches fügt das Gesetz eine zusätzliche und potenziell mächtige Ebene der Kontrolle hinzu, durch die der Staat die Tech-Industrie zwingen kann, seine Forderungen zu erfüllen – einschließlich der Herausgabe von Daten auf Anfrage von öffentlichen und nationalen Sicherheitsorganen.“ Rebecca Arcesati, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei MERICS

Medienberichte und Quellen:

Chinas Anti-Sanktionsgesetz: Neue Risiken für ausländische Akteure

Die Fakten: Das wichtigste Ziel des neuen Anti-Sanktionsgesetzes (Anti-Foreign Sanctions Law, AFSL), das am 10. Juni vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses Chinas verabschiedet wurde, ist die Wahrung der „nationalen Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen“ Chinas. Es verbietet Organisationen und Individuen, sich an der Durchsetzung ausländischer diskriminierender Maßnahmen gegen die VR China zu beteiligen. Zugleich erlaubt es der chinesischen Regierung, eigene Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn sie der Meinung ist, dass von ausländischen Staaten verhängte „diskriminierende restriktive Maßnahmen“ oder anderes Verhalten ihre Sicherheits- und Entwicklungsinteressen verletzen.

Der Blick nach vorn: Das Gesetz geht weit über die Abwehr von Sanktionen anderer Staaten hinaus. Es erlaubt Gegenmaßnahmen gegen ein breites Spektrum von Akteuren und Handlungen, die China als schädlich für seine Interessen ansieht. Obwohl das chinesische Außenministerium ausländischen Unternehmen versicherte, das Gesetz werde keine Auswirkungen auf sie haben, sollten diese die Risiken nicht unterschätzen. Das gilt auch für Regierungen und nichtstaatliche Akteure.
MERICS-Analyse: Chinesische Beamte und staatliche Medien haben stets betont, China greife niemanden an, wenn es nicht provoziert werde. Doch die Auslegung des Begriffs „Provokation“ hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Von Handel und Investitionen bis hin zu Chinas globaler Reputation – inzwischen ist für die Kommunistische Partei Chinas fast alles eine Frage der nationalen Sicherheit.

Mehr zum Thema:

Medienberichte und Quellen:

Hongkongs pro-demokratische Zeitung Apple Daily wird geschlossen

Die Fakten: Nach der Festnahme von fünf leitenden Angestellten und dem Einfrieren von Finanzvermögen in Höhe von 2,3 Millionen US-Dollar unter dem Nationalen Sicherheitsgesetz (NSL) für Hongkong hat Apple Daily, eine prominente pro-demokratische Zeitung in der Stadt, diese Woche den Betrieb eingestellt. Sowohl die Print- als auch die Online-Ausgabe der – gemessen an der Leserschaft – zweitgrößten Zeitung Hongkongs, wurden laut dem Eigentümer Next Media eingestellt. Der Gründer und Pro-Demokratie-Aktivist Jimmy Lai wurde wegen „Geheimabsprachen“ mit ausländischen Kräften angeklagt. Er verbüßt derzeit eine Haftstrafe wegen seiner Beteiligung an nicht genehmigten Versammlungen im Jahr 2019.

Der Blick nach vorn: Mit der Schließung von Apple Daily verstummt eine der lautesten Kritikerinnen der Regierung Chinas in Hongkongs Medienbranche. Die Stadtegierung hat erklärt, sie erwäge ein Gesetz gegen Falschnachrichten, um gegen „Fehlinformationen, Hass und Lügen“ vorzugehen. Zwischen Februar und April dieses Jahres griffen die Behörden in Inhalte des öffentlichen Rundfunksenders RTHK ein, der für seine unabhängige Berichterstattung und seine Kritik an der Regierung bekannt ist. Beijing-kritische Sendungen wurden aus dem Programm genommen und leitende Mitarbeiter entlassen. Im April wurde ein Journalist, der sich kritisch über die Polizei geäußert hatte, vor Gericht wegen Falschaussagen verurteilt.

MERICS-Analyse: Das Ende von Apple Daily zeigt die durchgreifende Wirkung des Nationalen Sicherheitsgesetzes, wenn es darum geht, kritische Stimmen in Hongkong zum Schweigen zu bringen. Abgesehen von Razzien und Verhaftungen leitender Mitarbeiter zwangen die Behörden Apple Daily in die Schließung, indem sie die finanziellen Lebensadern der Zeitung kappten. Die Botschaft an die Medienindustrie der Stadt zielt auf Abschreckung. Beijing ist entschlossen, kritische Medienschaffende in die Schranken zu weisen.

Medienberichte und Quellen:

China geht aus Sorge um Stabilität gegen Bitcoin-Minen vor

Die Fakten: Aus Sorge um die Stabilität des Finanzsystems schließen chinesische Behörden nun Bitcoin-Minen im ganzen Land. Die Behörden in der Provinz Sichuan ordneten an, den Betrieb der Minen zum Schürfen der digitalen Währung ab Sonntag zu schließen. In der Inneren Mongolei und Xinjiang sind bereits ähnliche Maßnahmen ergriffen worden, Behörden in anderen Landesteilen dürften folgen. Die parteistaatliche Zeitung „Global Times“ berichtete, dass 90 Prozent der Minen, große Serverfarmen, stillgelegt werden. Weil Strom in China günstig ist, beherbergt das Land etwa 75 Prozent der weltweiten Bitcoin-Minen.

Mit diesem drastischen Schritt setzt China seine Bemühungen fort, das Schürfen von Kryptowährungen zu unterbinden. Die Regierung hat Finanzinstitutionen bereits untersagt, Geschäfte mit Kryptowährungen zu machen. Seit Sonntag ist der ohnehin zurzeit fallende Wert des Bitcoins um etwa 60.000 US-Dollar abgesackt. Preise für Grafikkarten, die zum Schürfen von Bitcoin verwendet werden, ist ebenfalls gesunken. Karten der Hersteller NVIDIA und Radeon etwa waren auf chinesischen E-Commerce-Plattformen deutlich preiswerter zu haben.

Der Blick nach vorn: China hat eine digitale Version seiner Währung Renminbi eingeführt. Digitale CNY-Geldbörsen und Lotterien werden Kunden in ganz China angeboten. Parallel zur strengeren Kontrolle von Kryptowährungen dürfte die Regierung die Verbreitung des digitalen Yuan mit Macht vorantreiben.  
MERICS-Analyse: Aus Sorge um Spekulationen wird die chinesische Regierung weiter dafür Sorge tragen, dass Investitionen in Kryptowährungen nicht aus dem Ruder laufen. Sie weiß, dass sie wenig Einfluss auf die Märkte für Kryptowährungen hat. Sie wird deshalb Investoren dahin drängen wollen, in den heimischen Aktienmarkt zu investieren – ein Bereich, den die Regierung besser kontrollieren kann.  
Mehr zum Thema:

  • In einem MERICS Primer untersucht Kai von Carnap Chinas dynamisches Blockchain-Ökosystem.
  • Maximilian Kärnfelt argumentiert in einer Kurzanalyse, Chinas digitale Währung werde die Internationalisierung des Renminbis nur geringfügig vorantreiben.

Medienberichte und Quellen:

METRIX

100

Astronomische Einheiten

China will Berichten zufolge Raumschiffe an den Rand unseres Sonnensystems entsenden. 100 Astronomische Einheiten – das sind 150 Milliarden Kilometer – sollen die Sonden im Jahr des 100. Gründungsjubiläums der VR China 2049 von der Erde entfernt sein. Die Erforschung des Weltraums ist eine Priorität in Chinas aktuellem Fünfjahr-Plan und eine wichtige Quelle des Nationalstolzes. Wenige Wochen vor dem 100-jährigen Geburtstag der Kommunistischen Partei nächste Woche landete China ein Erkundungsmodul auf dem Mars. Am 17. Juni schickte China seine erste bemannte Weltraummission seit fünf Jahren in den Orbit, Teil eines ehrgeizigen Plans, bis Ende 2022 eine Raumstation zu bauen. Zudem plant China den Bau einer Mondstation zusammen mit Russland. (Quelle: Spacenews)

VIS-À-VIS: Sebastian Heilmann zur KPC auf dem Weg ins nächste Jahrhundert

„Wir müssen uns auf eine chinesische Supermacht mit globaler Reichweite vorbereiten“

Sebastian Heilmann ist Professor für Politische Ökonomie Chinas an der Universität Trier. Von 2013 bis 2018 war er der Gründungsdirektor von MERICS.

Im Rahmen unserer Serie über das „nächste Jahrhundert der KPC“ haben wir ihn gefragt, was er für die wichtigsten Quellen der Widerstandsfähigkeit der Partei hält und wie realistisch das Ziel Beijings ist, bis 2049 zur globalen Supermacht aufzusteigen.

Gekürzte Fassung, die Fragen stellte Claudia Wessling.

Wenn Sie auf die letzten 100 Jahre der KPC zurückblicken, was kennzeichnet ihre Regierungsführung?

Da sind mehrere Faktoren: Der erste ist die politische Kontrolle. Auch wenn es im Laufe ihrer Geschichte viele Krisen und Brüche gab, hatte die KPC die Sicherheitskräfte und vor allem das Militär immer sehr fest im Griff. Das ist eine wichtige institutionelle Voraussetzung, um Partei an der Macht zu halten, während sie mit vielen inneren und äußeren Umwälzungen konfrontiert war.

Eine weitere wichtige Quelle für die Widerstandsfähigkeit, die Resilienz, der KPC ist ihre Kampagnenfähigkeit. Diese hat die Partei seit den frühen Jahren und der Zeit der Revolution eingesetzt und verfeinert. Sobald Chinas politisches System in einen Krisenmodus gerät, schiebt die KPC bürokratische Routinen beiseite und mobilisiert die gesamte politische Maschinerie, um sich auf eine einzige Aufgabe zu konzentrieren, wie zum Beispiel jüngst den Kampf gegen das Coronavirus.

Ein entscheidender und aus westlicher Sicht überraschender Faktor, der Chinas politisches und wirtschaftliches System agil hält, ist die anhaltende politische Experimentierfreude. Damit meine ich die Offenheit, neue politische Instrumente auszuprobieren und die politischen Ziele der Zentralregierung mit konkreten Problemlösungen vor Ort zu verbinden. Wir haben dieses Muster seit den Anfängen der Partei gesehen, von den Basislagern der Revolution bis zu den Sonderwirtschafts- und Freihandelszonen.

Weitgehend ignoriert wird in der westlichen Wahrnehmung Chinas der Beitrag langfristiger Entwicklungsplanung zur Stärke der KPC-Herrschaft und zu Chinas wirtschaftlichem Aufstieg in den vergangenen Jahrzehnten. Um flexible Lösungen für Chinas wirtschaftliche und technologische Entwicklung zu finden, wurden langfristige politischer Programme, die strategische Ziele in Bereichen wie Wissenschaft und Bildung oder auch Infrastruktur ausgaben, kombiniert mit Experimenten von unten. So war Entwicklung einerseits eine stabile Richtung vorgegeben, andererseits wurde verhindert, dass diese zu starr und unflexibel wurde.

Gilt diese Flexibilität auch noch unter Xi Jinping?

Die Ära Xi Jinping ist in wichtigen Aspekten eine Abkehr von Prinzipien, die seit den frühen 1980er Jahren galten. Zum Beispiel unterscheidet sich das Ausmaß der Zentralisierung der Politikgestaltung erheblich vom Führungsstil von Deng Xiaoping, Jiang Zemin und Hu Jintao, unter denen Chinas Verwaltungssystem viel dezentraler war.

Wir sehen diese Abweichung von der früheren Politik auch in dem Versuch der KPC, die Privatwirtschaft zu kontrollieren. Die Partei versucht, ihre politische und ideologische Kontrolle tief in den privaten Sektor mit seinem bisher recht freilaufenden Innovations-Ökosystem auszuweiten. Dieser politische Vorstoß könnte aufgrund zunehmender politischer Restriktionen und Eingriffe zu einem großen Hemmschuh für Chinas Dynamik werden. Daher sehe ich die Ära Xi Jinping als eine Abweichung von den flexibleren Herrschaftsmustern, die wir vor allem in der Zeit von 1992 bis 2012 gesehen haben.

Wird die KPC ihr großes Hundertjahrziel erreichen, aus China bis 2049 eine wohlhabende und mächtige Nation und eine globale Supermacht zu machen?  

Ich denke, das sind realistische Ziele. Ich erwarte sogar, dass China viel früher als 2049 eine Supermacht und eine führende, globale Regeln gestaltende Macht wird. Natürlich haben größere Katastrophen und Umwälzungen, sei es in China oder im globalen Kontext, das Potenzial, Chinas Kurs entgleisen zu lassen. Aber wenn größere Katastrophen ausbleiben, ist es wahrscheinlich, dass China die USA bis Anfang der 2030er Jahre als größte Volkswirtschaft der Welt überholen wird. Und solange der Westen nicht die Kurve kriegt, indem er den sozialen und politischen Zusammenhalt wiederherstellt, seine Innovationskraft stärkt und eine effektive Gegenstrategie zu Chinas Vormarsch entwickelt, sollten wir uns auf eine chinesische Supermacht mit globaler Reichweite einstellen.

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