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MERICS Briefs
MERICS China Essentials
12 Minuten Lesedauer

Die wichtigsten Punkte in Xis Bericht an den Parteitag

Top Thema

Xi betont Taiwan, nationale Sicherheit und soziale Stabilität

Unter donnerndem Applaus der Delegierten nutzte Xi Jinping seine Eröffnungsrede auf dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPC), um Beijings “feste Entschlossenheit“ gegen ausländische Einmischung in die Taiwan-Frage geltend zu machen. Seine Wortwahl unterschied sich nur geringfügig von vorhergehenden Äußerungen zu den schwierigen Beziehungen beiderseits der Taiwanstraße. Doch Xi sprach das Thema unerwartet früh in seiner Rede an – ein klares Signal dafür, dass Beijing nicht den Plan aufgeben wird, Taiwan mit China „wiederzuvereinigen“.

Der den Delegierten ausgehändigte 72-seitige Bericht der KPC-Führung an den Parteitag kombinierte triumphale Töne mit Warnungen vor schwierigen Zeiten. Neu waren Kapitel für die Themen nationale Sicherheit und soziale Stabilität – ein Hinweis auf den sich verändernden Fokus weg von einer Priorität auf wirtschaftlichem Wachstum.

Xi lobte die eigene “dynamische Null-Covid“ Politik und betonte deren Erfolg im Kampf gegen die globale Pandemie – auch wenn wiederkehrende Lockdowns Chinas wirtschaftliches Wachstum ausgebremst haben. Im Vorjahr hatte China offiziell das selbst gesetzte und definierte Ziel einer Gesellschaft des „moderaten Wohlstands“ erreicht. Der Bericht an den Parteitag benennt nun die „sozialistische Modernisierung“ als Ziel für die kommenden fünf Jahre. Xi warnte KPC-Kader vor anstrengenden Zeiten. Das neue Ziel werde „harte Anstrengungen“ erfordern.

Xi verwies in dem Bericht auf das Ziel von Konstanz in der Wirtschaftspolitik. Die Öffnung ausgewählter Wirtschaftssektoren durch Marktreformen und -liberalisierung soll voranschreiten. Zugleich bleiben die Stärkung staatseigener Betriebe und das Streben nach wirtschaftlicher und technologischer Unabhängigkeit erklärte Ziele. Dieser Widerspruch in Beijings Industriepolitik rührt daher, dass für verschiedene Sektoren der Wirtschaft oft sehr unterschiedliche Regeln und Zielvorgaben gelten.

Ein neuer Abschnitt in dem Bericht ist Innovation in Wissenschaft und Technik gewidmet. Er steht für Beijings Wunsch technologische Unabhängigkeit zu erreichen. Bildung, Wissenschaft, Technik und Fachkräfte seien die strategischen Triebkräfte für Chinas Transformation in ein modernes sozialistisches Land, heißt es in dem Bericht. Die Führung ist sich offenkundig bewusst, dass China hochqualifizierte Arbeitskräfte – auch aus dem Ausland – benötigt, um seine Arbeitnehmerschaft aufzuwerten. Die KPC will dafür die Ziele setzen, während Firmen mit der Umsetzung betraut werden sollen. Ein passendes Innovationsumfeld soll diese unterstützen. Die Begriffe „Wissenschaft und Technik“ (科技) wurden häufiger benutzt als beim vorherigen Parteitag 2017.

MERICS-Analyse: „Xis Bericht zeigt die Kontinuität der Ausrichtung und politischen Agenda der KPC. Doch die wichtigste politische Neuerung dieses Parteitags ist nicht auf dem Papier zu finden. Anstatt nach zwei Amtszeiten als Generalsekretär für einen jüngeren Nachfolger Platz zu machen, stellt sich Xi Jinping als sein eigener Nachfolger auf“, sagt Katja Drinhausen, Leiterin des Bereichs Politik und Gesellschaft am MERICS. „In seinem ersten Jahrzehnt im Amt hat Xi große Ambitionen für China und die KP formuliert. Er hat diese nun untermauert und den Weg dafür bereitet, sie Wirklichkeit werden zu lassen.“

Medienberichte und Quellen:

METRIX

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27 mal erwähnte Xi Jinping in seinem Rede auf dem Parteitag das Wort „nationale Sicherheit“ (国家安全). Das ist deutlich häufiger als bei den Parteitagen 2017 (17 Erwähnungen) und 2012 (vier Erwähnungen). In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Bezüge zum Thema „Sicherheit“ in den Berichten von 36 auf 91 verdreifacht. Das zeigt deutlich, wie stark sich die chinesische Politik seit Xis Machtübernahme gewandelt hat. Xi stellte sein Konzept der „umfassenden nationalen Sicherheit“ bereits 2014 vor.

Mehr zum Thema: In einem MERICS China Monitor haben Katja Drinhausen und Helena Legarda Xis Streben nach nationaler Sicherheit analysiert. Die Studie in englischer Sprache können Sie hier online lesen.

Themen

Seltener Protest in Beijing zeigt Grenzen absoluter Kontrolle

Der dramatische Protest eines einzelnen Mannes in Beijing für politische Reformen und ein Ende der Null-Covid-Politik von Xi Jinping sorgte weltweit für Schlagzeilen – nicht so in China. Dennoch erreichten die Bilder schnell auch die chinesischen sozialen Medien und wurden über File-Sharing-Tools – und schließlich sogar als gedruckte Poster und öffentliche Graffiti verbreitet.

Die Zensoren sperrten eine so große Zahl an Nutzern, dass der Hashtag „Mein WeChat-Konto ist gesperrt“ kurzzeitig zu einem Top-Trend auf Weibo wurde – ehe er zensiert wurde. Die Polizei verlangte von den Druckereien, alle Plakatbestellungen zu überprüfen, und einige Schulen wiesen die Schüler sogar an, das Filesharing auf ihren Smartphones zu deaktivieren.

Wenige Tage vor Beginn des Parteitags hingen in Beijing Transparente mit Botschaften wie „Ich will keinen Test machen, ich will essen“, „Ich will keine Kulturrevolution, ich will Reformen“ und der Forderung, Xi abzusetzen. Der Demonstrant, der sie aufgehängt hatte, wurde schnell festgenommen. Seine Botschaft hallte aber in China und weltweit nach – und warf einen Schatten auf Xis sorgfältig choreographierten Parteitag. Auch wenn die Anliegen und Forderungen des Mannes vermutlich nicht die Mehrheitsmeinung widerspiegeln, sind sie doch Ausdruck von vorhandener Unzufriedenheit.

Die Bürger Chinas leiden unter den Auswirkungen einer stagnierenden Wirtschaft, möglichen weiteren Covid-Beschränkungen und einem zunehmend restriktiven gesellschaftspolitischen Klima. Trotz der Betonung des Themas Sicherheit auf dem Parteitag und der massiven Polizeipräsenz in der Hauptstadt deutet der Protest und sein Echo auf die Spannungen, unter denen viele Menschen stehen.

Eine Kampagne in selbstproduzierten Medien von Auslandschinesen ermutigte viele, die Transparente zu übersetzen und nachzudrucken, die dann als Plakate in Universitäten auf der ganzen Welt, darunter in Berlin und New York, aufgehängt wurden.

Medienberichte und Quellen:

Veröffentlichung der Wirtschaftsdaten für das 3. Quartal ohne Angabe von Gründen verschoben

Chinas Statistikamt hat die Veröffentlichung zentraler Wirtschaftsdaten, die in der Zeit vor bzw. während des Parteitags der KPC geplant war, ohne Angabe von Gründen verschoben. Einige Medien gaben als Begründung Covid-Beschränkungen im Vorfeld des Parteitags an. Diese hätten Beamte daran gehindert, die Statistiken fertigzustellen.

Eigentlich hätte die chinesische Zollbehörde am 14. Oktober Handelsdaten veröffentlichen sollen, und das Nationale Statistikamt hatte für den 18. Oktober die Wirtschaftsdaten für das dritte Quartal angekündigt. Beide Veröffentlichungen wurden jedoch auf unbestimmte Zeit vertagt. Andere Daten wurden wie vorgesehen publiziert. Das wirft die Frage auf, ob der Grund für die Verzögerung nicht ein anderer war.

Denkbar ist, dass die KPC verhindern wollte, dass Xis Rede von schwachen Handelsdaten und mittelmäßigen Wachstumsergebnissen überschattet wird. In jedem Fall werfen die Verzögerungen kein gutes Licht auf die Institutionen. Einerseits wäre es ein großer Fehler in der Planung, wenn man es versäumt hätte, sich vor dem Parteitag auf die Covid-Beschränkungen einzustellen. Andererseits würde das Zurückhalten schlechter Daten, um Xi zu schützen, der Glaubwürdigkeit mindestens ebenso schaden.

MERICS-Analyse: „Das Zurückhalten der Quartalsdaten mag ein ideologischer Schachzug gewesen sein, um Xis Image zu schützen, indem man schlechte Nachrichten zurückhält. Aber selbst das Versäumnis, die Covid-Regeln vor dem Parteitag in der Planung zu berücksichtigen, zeigt Schwächen in der öffentlichen Kommunikation des Parteistaats, der sich gerne als 3-D-Schachmeister mit einem 100-Jahres-Plan inszeniert“, sagt MERICS-Experte Jacob Gunter. „Solche Eingriffe schaden nicht nur der wirtschaftlichen Stimmung, sondern zeigen, dass selbst das Nationale Amt für Statistik und die Allgemeine Zollverwaltung, die weniger ideologisch geprägt zu sein scheinen, den politischen Interessen der KPC unterworfen sind.“

Medienberichte und Quellen:

Angesichts von US-Beschränkungen für Halbleiter verstärkt China Streben nach Eigenständigkeit

Die Halbleiterindustrie wird zum Testfeld für Chinas Streben nach technologischer Selbstständigkeit, das im Bericht an den Parteitag erneut skizziert wurde. Die von den USA Anfang Oktober eingeführten Exportkontrollen verwehren China den Zugang zu wichtigen Geräten, Technologien und Software für die Chipentwicklung und -produktion. Die Beschränkungen sollen in letzter Konsequenz Chinas Fortschritte in dem Bereich verhindern. Sie zwingen Beijing noch stärker, eigene Ansätze zu verfolgend, denn Halbleiter sind wichtig für die Entwicklung fortschrittlicher Digitaltechnologien wie künstlicher Intelligenz.

Bislang waren Chinas Fortschritte durchwachsen. Das Land kann viele Arten einfacher Chips selbst produzieren, verfügt über solide Fähigkeiten bei Speicherchips und meldet gelegentlich Durchbrüche bei Experimenten. Für letztere ist das Land jedoch weiter angewiesen auf ausländischen Technologien oder Komponenten. Die KPC ist sich dieser Schwäche bewusst und will durch eine „neuartige“, systematische nationale Anstrengung (新型举国体制) Eigenständigkeit vorantreiben. Demnach sollen unter der Führung Beijings Ressourcen konzentriert, Synergien zwischen Unternehmen, Universitäten und Forschungslabors genutzt, die Reform nationaler Labors, Forschungsfinanzierung sowie zukunftsweisende Megaprojekte vorangetrieben werden.

Da die Halbleiterindustrie jedoch hochgradig global vernetzt ist und Lieferketten und Technologien komplex sind, ist stärkere staatliche Lenkung möglicherweise nicht die Lösung. Beijings Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation zeigt sich auch anhand des Vorgehens gegen den Nationalen Investitionsfonds für die Halbleiterindustrie (National Integrated Circuit Industry Investment Fund oder "Big Fund"), der 2014 mit dem Aufbau des Sektors beauftragt wurde. Gegen mindestens zwölf hochrangige Beamte und Fondsmanager wird wegen Korruption ermittelt, darunter auch Direktor Ding Wenwu.

MERICS-Analyse: „Die Ernennung neuer Manager für den ‚Big Fund‘ wird nicht reichen, um Chinas Halbleitersektor wie von Beijing angestrebt zum Erfolg zu führen“, sagt MERICS-Experte Jeroen Groenewegen-Lau. „Eine gesamtnationale Anstrengung müsste eigentlich bedeuten, dass eine Agentur oder ein Unternehmen mit der Aufgabe betreut wird. Sie müsste wichtige Akteure aus Industrie und Wissenschaft beteiligen, wenn sie erfolgreich sein soll. Nur so könnten theoretisch nationale Cluster entstehen, die abgeschirmt von Marktkräften agieren können – allerdings auch abgekoppelt von den für die Entwicklung dieser Schlüsseltechnologie wichtigen Kapitalmärkten. Aufgrund der Komplexität der Technologie ist der Erfolg jedoch sehr ungewiss.“ 

Medienberichte und Quellen:

MERICS China Digest

Kenia will China um Verlängerung von Kreditlaufzeiten bitten (Bloomberg)

Die kenianische Regierung will China um eine Verlängerung der Rückzahlungsfrist für Schulden in Höhe von fünf Milliarden USD bitten, mit denen der Bau einer neuen Bahnlinie finanziert wurde. Der designierte Verkehrsminister Kipchumba Murkomen sagte kürzlich, das Bedienen der Schulden bei der Export-Import Bank of China schnüre die Wirtschaft des Landes ab. (19.10.2022)

Chinas Automarkt könnte laut Experten langsamer wachsen (Reuters)

Chinesische Autobauer haben in den ersten neun Monaten dieses Jahres eine Rekordzahl von einer Million Fahrzeugen an Händler geliefert, berichten Analysten der China Merchants Bank International (CMBI). Während die Lieferungen jedoch um ein Drittel anstiegen, legten die Verkaufszahlen nur um neun Prozent zu. Der größte Automarkt der Welt könnte im nächsten Jahr langsamer wachsen. (19.10.2022)

Covid-Pandemie verschärft Wohlstandsgefälle in Hongkong (Hong Kong Free Press)

Die Corona-Pandemie hat die Einkommensunterschiede in Hongkong deutlich verschärft. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht von Oxfam, in dem es heißt, dass die ärmsten Bewohner der Stadt 47 mal weniger verdienen als die reichsten Hongkonger. Vor der Pandemie verdienten die Spitzenverdiener „nur“ 34,3 mal so viel. (06.10.2022)