Chinese Defense Minister Gen. Li Shangfu at the Shangri-La Dialogue
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Shangri-La-Gipfel + Trade and Technology Council + Extremwetterlagen

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Keine Anzeichen für Tauwetter zwischen USA und China bei Shangri-La-Dialog

Chinas neuer Verteidigungsminister Li Shangfu hat auf dem wichtigsten jährlichen Verteidigungsgipfel Asiens, dem Shangri-La-Dialog in Singapur, Hoffnungen auf ein Tauwetter zwischen den USA und China in der Sicherheitspolitik enttäuscht. In seiner Rede schlug er scharfe Töne an und kritisierte die USA und ihre Präsenz in der Region. Verteidigungsminister und politische Entscheider aus dem indopazifischen Raum und Europa, sowie auch US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, nahmen an der Konferenz vom 2. bis 4. Juni teil, auf der Li seinen ersten internationalen öffentlichen Auftritt absolvierte.

Washington hatte sich zuletzt für einen vorsichtigen Neustart der Beziehungen zu Beijing eingesetzt und sich um Treffen mit chinesischen Beamten aus allen Politikbereichen bemüht. CIA-Direktor Bill Burns reiste im vergangenen Monat zu einem Treffen mit seinem Amtskollegen nach China. Er war Berichten zufolge der ranghöchste US-Beamte, der das Land seit 2021 besuchte. 

Auf dem Shangri-La-Dialog hielt Verteidigungsminister Austin eine relativ zurückhaltende Rede; er kritisierte zwar Chinas aggressives Verhalten in der Region, betonte aber die Notwendigkeit, Mechanismen zur Konfliktvermeidung und zum Management von Krisen zu entwickeln und die Kommunikation zwischen den Militärs der beiden Länder aufrecht zu erhalten. Er kritisierte China für die Aussetzung des sicherheitspolitischen Dialogs im August 2022; dieser sei notwendig und nicht optional.

Die meisten Länder der Region unterstützten dies. In den Reden der Verteidigungsminister wurden Sorgen um fehlende Kommunikation und fehlenden politischen Willen der USA und Chinas und eine daraus resultierende, potentiell katastrophale Eskalation laut. Die Befürchtungen wurden durch Berichte über einen Beinahe-Zusammenstoß zwischen einem US- und einem chinesischen Schiff in der Taiwan-Straße nach einem gewagten Manöver eines chinesischen Marineschiffs verstärkt.

Forderungen nach einer Wiederaufnahme der Kommunikation zwischen dem chinesischen und dem US-Militär fanden in Beijing kein positives Echo. Li Shangfu lehnte ein Treffen mit Austin in Singapur ab, ein Grund könnten die US-Sanktionen gegen Chinas Verteidigungsminister sein. Auf eine Frage nach der Wiederaufnahme der Kommunikation zwischen beiden Seiten sagte Li, gegenseitiger Respekt sei die Voraussetzung für einen Dialog. Er bekräftigte damit Beijings Botschaft, nach der Washington seine Haltung ändern müsse, wenn es die Beziehungen zu China stabilisieren wolle.

MERICS-Analyse: „Li Shangfus Rede beim Shangri-La-Dialog war ein weiterer Beweis dafür, dass sich Chinas Charmeoffensive nach dem 20. Parteitag nicht auf die Vereinigten Staaten erstreckt“, sagt MERICS-Expertin Helena Legarda. „Beijing konzentriert sich weiterhin auf den Wettbewerb mit Washington und scheint bereit zu sein, den militärischen Dialog und die Kommunikation als Druckmittel einzusetzen.“

Medienberichte und Quellen:

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70

Am 15. Juni wird der chinesische Partei- und Staatschef Xi Jinping 70 Jahre alt. Seit zehn Jahren führt er die Volksrepublik und hat dabei Ideologie und Sicherheit über den wirtschaftlichen Pragmatismus der Zeit der Reform- und Öffnungspolitik gestellt und die zurückhaltende Außenpolitik der Ära Deng Xiaoping durch einen selbstbewussteren Ansatz ersetzt. Unter ihm sind Partei und Staat so zentralisiert und homogenisiert wie zuletzt unter Mao Zedong. Anders als Mao ist Xi jedoch auf Stabilität fokussiert. „Mit aller Wahrscheinlichkeit wird das System mit dem Ende einer Ära Xi nicht zerfallen wie bei Mao, sondern in den Institutionen weiterleben,“ sagt MERICS Experte Nis Grünberg. „Das macht Xi mächtiger als Mao.“

Themen

EU und USA uneins über Umgang mit Chinas technologischen Ambitionen

Die Fakten: Der Handels- und Technologierat der EU und USA (TTC) hat sich wieder nicht auf Maßnahmen einigen können, Chinas Ambitionen auf technologische Vorherrschaft zu bremsen. Die Abschlusserklärung des Treffens vom 31. Mai in Stockholm nennt zwar konkret China in zwei Bereichen. Diese haben aber nur am Rande mit Technologie zu tun. Das Dokument kritisiert Beijings marktverzerrende Praktiken bei medizinischen Geräten und die Verbreitung russischer Desinformationen über die Ukraine. Ansonsten bleiben Verweise auf China indirekt. Beide Seiten sind sich offenkundig uneins, ob Beijing wegen Marktverzerrungen bei den sogenannten Legacy-Chips oder wegen wirtschaftlicher Druckausübung auf andere Länder direkt angesprochen werden soll. Berichten zufolge hatten die USA darauf gedrängt.

Der Blick nach vorn: Die Diskussionen zwischen den USA und der EU über abgestimmte Maßnahmen zur Verlangsamung oder Unterbindung von Chinas technologischen Ambitionen bleiben schwierig. Die EU verfolgt in den Beziehungen zu China zwar ähnlich wie die USA einen Ansatz der Risikominimierung. Beide Seiten erlassen Vorschriften, um Beijings technologische Aktivitäten zu steuern. Doch wo die USA zum Beispiel in ihrem Entwurf für ein Verbot der Video-App TikTok China ausdrücklich nennen, erwähnen EU-Vorschriften zum Schutz der eigenen Wirtschaft gegen Druck oder subventionierte ausländische Konkurrenz kein bestimmtes Land explizit. Diese Diskrepanz zeigt sich auch in Washingtons Exportkontrollen und Sanktionen, welche die EU nur aufgrund ihrer extraterritorialen Reichweite und des Drucks aus den USA akzeptiert hat. 

MERICS-Analyse: „Der TTC macht nur wenig substanzielle Fortschritte und wird nicht zu dem strategischen Forum, das sich viele in der EU und den USA vorgestellt hatten“, sagt MERICS-Expertin Antonia Hmaidi. „Anstatt die großen Themen anzugehen, scheint der TTC am besten geeignet zu sein, sich in sehr technischen Fragen abzustimmen. Es gibt zwar Konsens über die Herausforderung China, aber wenig transatlantische Einigkeit darüber, was zu tun ist.“

Medienberichte und Quellen:

Extreme Wetterlagen: China priorisiert Nahrungsmittel- und Energiesicherheit

Die Fakten: Mit Hochdruck passen Chinas Behörden die Wasser-, Lebensmittel- und Energieversorgung auf die wachsenden Risiken des Klimawandels an. Früher als sonst erlebt das Land in diesem Jahr extreme Wetterlagen. In der Provinz Henan musste Katastrophenhilfe entsandt werden, um die Weizenernte, ein Viertel der nationalen Produktion, vor sintflutartigem Regen zu retten. In Shanghai, Yunnan und Jiangxi kletterte schon im Mai das Thermometer auf Rekordtemperaturen um 44 Grad Celsius. Hitze und Dürre sind im wasserarmen China eine beunruhigende Mischung, nicht zuletzt auch weil 17 Prozent der Elektrizität aus Wasserkraft erzeugt werden. Niedrige Wasserstände in den Staudämmen bedrohen die Versorgung der Klimaanlagen mit Strom, dennoch versuchen die Behörden Rationierungen zu vermeiden. 

Der Blick nach vorn: Xi Jinping hat Nahrungssicherheit zur obersten Priorität erklärt. Beijing will die Selbstversorgung Chinas mit Grundnahrungsmitteln sichern und die Landwirtschaft an den Klimawandel anpassen. Niedrige Wasserstände in den großen Flüssen bedrohen die Energieversorgung. Manche Wärmekraftwerke, die Wasser zur Kühlung brauchen, müssen womöglich ihre Produktion drosseln. Im Norden wird Wasser immer knapper, weshalb weitere Megaprojekte zur Umleitung von Wasser aus dem Süden aufgezogen werden. Diese regionale Desertifikation bedroht Beijings nationale Sicherheitsziele zur ausreichenden Versorgung mit Nahrung, Energie und Wasser.

MERICS Analyse: „Die negativen Auswirkungen des Klimawandels haben das Thema Anpassungsstrategien auf Beijings Agenda rasant nach oben gerückt. Anpassungsmaßnahmen an die Klimaveränderung, wie die Dekarbonisierung werden immer wichtiger,“ sagt MERICS-Experte Nis Grünberg. „Die Nahrungsmittelsicherheit ist eine zentrale Herausforderung. Xi hat unlängst eine Reihe öffentlicher Auftritte genutzt, die Bedeutung der landwirtschaftlichen Modernisierung herauszustellen.“

Medienberichte und Quellen:

Neues Passagierflugzeug ist Erfolg für Chinas industrielle Ambitionen – trotz ausländischer Technologie

Die Fakten: Chinas staatlicher Luft- und Raumfahrzeugbauer Commercial Aviation Corporation of China (COMAC) macht den Branchenriesen Airbus und Boeing Konkurrenz. Das erstes selbstentwickelte Passagierflugzeug, die C919, absolvierte am 28. Mai den kommerziellen Jungfernflug. COMAC verwendete für den Bau einheimische Technologien als auch Komponenten ausländischer Zulieferer und chinesisch-ausländischer Joint Ventures. Mehr als 16 Jahre brauchte das Unternehmen, das Passagierflugzeug zur Genehmigungsreife zu bringen.

Der Blick nach vorn: COMAC wurde vorgeworfen, den Bau nur durch Technologiediebstahl, ausufernde Subventionen, Kaufgarantien staatlicher inländischer Fluggesellschaften und mit Hilfe von Komponenten ausländischer Zulieferer bewerkstelligt zu haben. Doch ungeachtet dessen ist es dem Konzern nun gelungen, in einer komplexen Branche wie der Luftfahrt nun das Duopol aus Airbus und Boeing unter Druck zu setzen. Dem japanischen Produzenten Mitsubishi ist dies nicht gelungen: Er stellte nach 15 Jahren die Entwicklung eines eigenen Jets ein. 

MERICS Analyse: „Die Fertigstellung des C919 ist ein großer Triumph für den Parteistaatskapitalismus nach chinesischem Vorbild. Sie vereint die innovativen und produktiven Fähigkeiten eines dynamischen Marktes mit den Schattenseiten des Beijinger Modells: Subventionen und Verschwendung, protektionistische Beschaffungssysteme, Technologietransfer und sogar Diebstahl“, sagt MERICS-Experte Jacob Gunter. „Die C919 wird vorerst die Binnennachfrage bedienen, aber Airbus und Boeing sollten sich daran erinnern, dass die chinesische Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnindustrie einst einen ähnlichen Weg von gerade mal ‚gut genug‘ zu ‚global wettbewerbsfähig‘ nahm.“

Mehr zum Thema: Beijing takes aim at Airbus and Boeing’s dominance, Kommentar von Max J. Zenglein und Gregor Sebastian 

Medienberichte und Quellen:

Merics China Digest

US-Außenminister Blinken soll in den kommenden Wochen für Gespräche nach Beijing reisen (Bloomberg) 

Antony Blinken wird wahrscheinlich in den kommenden Wochen für Gespräche nach China reisen, heißt es aus informierten Kreisen. Washington ist bestrebt, die hochrangige Kommunikation mit China trotz anhaltender Spannungen wieder aufleben zu lassen. Der US-Außenminister sollte bereits im Februar nach Beijing reisen. Die Reise war abgesagt worden, nachdem die USA ein Flugobjekt über dem US-amerikanischen Festland nach eigenen Angaben als chinesischen Spionageballon identifiziert hatten. (6.6.2023)

Umfrage über außenpolitische Ansichten in der EU (ECFR) 

Laut einer Umfrage des European Council on Foreign Relations (ECFR) in 11 EU-Mitgliedsstaaten wollen europäische Bürger:innen mehrheitlich in einem Konflikt zwischen den USA und China neutral bleiben und sich bei der Risikominimierung in den Beziehungen mit China zurückhalten, auch wenn Chinas wirtschaftliche Präsenz in der EU einige Risiken berge. Die Wahrnehmung Chinas durch Europäer:innen hat sich seit 2021 kaum verändert. Eine Mehrheit der Befragten gab an, dass chinesische Waffenlieferungen an Russland eine rote Linie wären. (7.6.2023)

UN-Menschrechtsbüro zeigt sich alarmiert wegen Verhaftungen an Tian‘anmen Jahrestag in Hongkong (BBC) 

Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen zeigt sich alarmiert wegen Verhaftungen und der Behinderung bei der Ausübung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Hongkong während des 34. Jahrestages der Niederschlagung der Protestbewegung auf dem Tian’anmen-Platz 1989. In der Vergangenheit gab es in der Stadt am 4. Juni große Versammlungen und Demonstrationen. (5.6.2023)

Tausende Muslime widersetzen sich Behörden, um Moschee zu verteidigen (CNN) 

Tausende Muslime haben am Wochenende eine Moschee im Südwesten Chinas umstellt, weil sie verhindern wollten, dass die Behörden die Kuppel und Minarette der Moschee entfernen. Der Umbau der Moschee der Volksgruppe der Hui in der Provinz Yunnan erfolgt inmitten einer weitreichenden Kampagne Xi Jinpings zur "Sinisierung" der Religion.  (2/6/2023)