Hong Kong demonstrators give way to busses at Harcourt Road on 16 June 2019. According to organizers, nearly 2 million people turned out that day. Photo: Wikipedia user – Wpcpey.
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Millionen Menschen demonstrieren gegen Hongkongs Regierung

China Update 11/2019

METRIX

Die staatliche Infrastrukturfirma China Railway Construction hat die Zusammenarbeit mit der Schweizer Großbank UBS bei der Platzierung einer Dollar-Anleihe Anleihe in Höhe von bis zu einer Milliarde USD beendet. Anlass war der Kommentar eines UBS-Ökonomen, der die höheren Verbraucherpreise in China auf die dort grassierende afrikanische Schweinepest zurückgeführt hatte. „Spielt es eine Rolle? Es spielt eine Rolle, wenn du ein chinesisches Schwein bist. Es spielt eine Rolle, wenn du in China gerne Schweinefleisch isst. Für den Rest der Welt spielt es keine Rolle.“ In China lösten die Äußerungen eine Welle der Empörung aus.

Thema der Woche

Millionen Menschen demonstrieren gegen Hongkongs Regierung

Hongkong im Ausnahmezustand: Seit Wochen demonstrieren Millionen Menschen in Hongkong gegen Gesetzesänderungen, die Auslieferungen nach Festlandchina deutlich erleichtern würden. Die Proteste bewegten Regierungschefin Carrie Lam, umstrittene Änderungen an zwei Gesetzen erst einmal auf Eis zu legen. Sie entschuldigte sich zudem in einem ungewöhnlichen Schritt bei den Bürgern. Die Unruhen seien „durch Defizite in unserer Regierungsarbeit entstanden“. Die Regierung habe verstanden, dass viele Menschen „aus Sorge und Liebe“ zu Hongkong gegen das Gesetz auf die Straße gegangen seien. Die Demonstranten hat das bislang nicht beeindruckt, die Proteste dauern an.

Die Proteste waren zeitweise eskaliert. Mehr als 80 Menschen wurden verletzt und etwa 30 weitere wegen verschiedener Delikte vorübergehend festgenommen. Lam bezeichnete die Proteste als „Aufruhr“, was bedeutet, dass Demonstranten mehrjährige Haftstrafen drohen können. Angesichts der anhaltenden Proteste ruderte die Regierungschefin aber auch hier zurück. Nur Demonstranten, die Polizisten gewalttätig attackiert hätten, müssten mit Anklagen wegen Aufruhr rechnen, hieß es.

Es sind die größten Protestkundgebungen in der Geschichte der ehemaligen britischen Kronkolonie, die vor fast genau 22 Jahren – am 1. Juli 1997 – an die Volksrepublik China zurückgegeben worden war. Die Demonstranten wenden sich gegen die Änderung zweier Gesetze, die die Auslieferung von verdächtigten und gesuchten Personen an die Volksrepublik ermöglichen würde. Besonders junge Hongkonger sehen in der umstrittenen Gesetzesänderung ein Zeichen dafür, dass die für das Jahr 2047 angekündigte vollständige Integration Hongkongs in die Volksrepublik bereits jetzt in vollem Gange ist.

Die Menschen in Hongkong sorgen sich nicht nur um ihre Freiheit, auch die Wirtschaft der Metropole könnte durch stärkere Zugriffe der chinesischen Zentralregierung Schaden nehmen. Aus Sorge davor, dass durch das Auslieferungsgesetz chinesische Gerichte unter fadenscheinigen Gründen die Hongkonger Justiz anweisen könnten, Vermögen einzufrieren und zu beschlagnahmen, haben reiche Bürger der Finanzmetropole bereits begonnen, ihr Vermögen ins Ausland zu bringen. Bei den Demonstrationen gehen vor allem junge Hongkonger auf die Straße, die Regierung in Beijing kann sich somit auch in der Zukunft auf Widerstand einrichten.

Um sich der behördlichen Überwachung auch über Kameras, soziale Medien und Mobilfunkkommunikation zu entziehen, haben die Demonstranten eigene Taktiken entwickelt: Die Versammlungen werden dezentral organisiert, oft über verschlüsselte Messaging-Apps wie Telegram. Zeitgleich mit den Demonstrationen in Hongkong wurde der Dienst am 13. Juni von einem Computernetzwerk auf dem chinesischen Festland attackiert und zeitweise lahmgelegt.

Die Regierung in Beijing unterstützt derweil auch auf anderer Ebene die Hongkonger Führung: Chinesische parteistaatliche Medien betonten wiederholt ihre Unterstützung für Lam und die umstrittene Gesetzesänderung. Diese sei notwendig, um Schlupflöcher für Kriminelle zu schließen und Korruption und illegale Geschäftspraktiken zu bekämpfen. In einigen englischsprachigen chinesischen Staatsmedien hieß es sogar, es gebe in Hongkong in Wahrheit breite Unterstützung für das Gesetz. Die jungen Demonstranten seien von westlichen Kräften irregeleitet.

Insgesamt wird in China kaum über die Proteste berichtet, ihr Ausmaß wird heruntergespielt. Für Online-Medien herrscht derzeit besonders strenge Zensur; wer in den sozialen Medien die Proteste überhaupt erwähnt, muss mit der Schließung seines Kontos rechnen.

MERICS-Expertin Mareike Ohlberg: “Das Ausmaß der Demonstrationen zeigt, dass die Hongkonger Regierung nicht einfach als Pekings Handlanger agieren kann, ohne dass dies negative Folgen hat – in der Stadt selbst, aber auch international.“

China und die Welt

Xi bemüht sich auf zentralasiatischen Gipfeltreffen um Stärkung von Chinas Position

Der chinesische Präsident Xi Jinping hat auf seinem Besuch in Russland und Zentralasien für mehr Zusammenhalt von Ländern, die mit den USA in Konflikt stehen, geworben. Auf seiner Reise Anfang Juni bemühte er sich zudem darum, neue Märkte für Huawei und andere chinesische Technologieunternehmen zu erschließen, die Washington kürzlich von der Nutzung von US-Technologie ausgeschlossen hatte. China steht aufgrund des schwelenden Handels- und Technologiekonflikts mit den USA zunehmend unter Druck.

Auf den Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) vom 13. bis 14. Juni in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek und der Konferenz für Interaktion und vertrauensbildende Maßnahmen in Asien (CICA) vom 14. bis 15. Juni in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe schlossen sich der iranische und der türkische Präsident der chinesischen Kritik an der US-Handelspolitik an. Der kirgisische Präsident Sooronbay Jeenbekov bezeichnete zudem die chinesischen Umerziehungslager in Xinjiang als „innere Angelegenheit“. Chinesisch-russische Harmonie stand im Mittelpunkt, als Xi Jinping öffentlich seinen Geburtstag mit Wladimir Putin feierte.

Auf dem SOZ-Gipfel wurde eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit in Informations- und Kommunikationstechnologien unterzeichnet. Wenige Tage zuvor hatte Huawei ein Abkommen mit dem russischen Netzbetreiber MTS unterschrieben. Der chinesische Konzern soll das erste 5G-Netzwerk des Landes ausbauen. China bemühte sich auch um eine Annäherung an das neue SOZ-Mitglied Indien, wo öffentliche Debatten über chinesische IT-Firmen weniger kritisch geführt werden als in den USA oder Europa.

Kritik an UN-Terrorismusbeauftragtem wegen Reise nach Xinjiang

Ein ranghoher UN-Beauftragter für Terrorbekämpfung hat mit einer Reise nach Xinjiang heftige Kritik auf sich gezogen. Vladimir Voronkov besuchte kürzlich für mehrere Tage die chinesische Autonome Region. Er habe chinesische Beamte über die Umsetzung der weltweiten Anti-Terrorstrategie der Vereinten Nationen informiert, hieß es in einer Erklärung. Die sogenannten Ausbildungslager für Uiguren und andere muslimische Minderheiten erwähnte Voronkov nicht.

Internationale Kritiker werfen Chinas Regierung massive Menschrechtsverletzungen in Xinjiang vor. China rechtfertigt die Maßnahmen mit Terrorismusbekämpfung. Der Besuch und die Aussagen Voronkovs könnten deshalb als Unterstützung und Legitimation für diesen Standpunkt gewertet werden. Sie lösten in den USA und in internationalen Menschenrechtsorganisationen kontroverse Reaktionen aus. Der russische Diplomat ist der ranghöchste UN-Vertreter, der Xinjiang in jüngerer Zeit besucht hat.

Bei einem Treffen mit Chinas Außenminister Wang Yi im April hatte UN-Generalsekretär António Guterres die prekäre Lage der Uiguren in China selbst zur Sprache gebracht. Ob die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet in nächster Zeit nach Xinjiang reisen darf, ist unklar. Ihr wurde ein Besuch mehrfach verwehrt. Chinas UN-Botschafter Chen Xu hat erklärt, es werde nach einem „für beide Seiten passenden Zeitpunkt“ gesucht.

Kurz gemeldet

Innenpolitik, Gesellschaft und Medien

Staatsrat beschließt neue Maßnahmen für gesellschaftliches Bonitätssystem

Chinas Premier Li Keqiang hat das vergangene Treffen des Exekutivausschusses des Staatsrats genutzt, um neue Mechanismen zur Kontrolle von Unternehmen als Teil von Chinas gesellschaftlichem Bonitätssystem zu verkünden. Lis ungewöhnliche Ankündigung in dem kabinettähnlichen Gremium zeigt die Bedeutung, die Beijing der Kontrolle von Unternehmen zumisst.

Die chinesische Regierung teilte mit, dass neue Verstöße wie irreführende Werbung und unsichere Produkte der schwarzen Liste für Unternehmen hinzugefügt und vermehrt unangekündigte Firmenkontrollen vorgenommen werden. Regelwidriges Verhalten soll zukünftig von allen in Frage kommenden Regierungsbehörden sanktioniert werden, wodurch sich Strafen stark erhöhen dürften. Überwachungsstellen wurden zudem angewiesen, den Informationsaustausch zwischen den Behörden auszuweiten. Massenhafte Datensammlung und -auswertung sowie andere Technologien zur Früherkennung und zur Bestrafung von „nicht vertrauenswürdigem Verhalten“ sollen zum Einsatz kommen.

Nach eigenen Angaben hat China seit 2014 das größte gesellschaftliche Bonitätssystem der Welt aufgebaut. Es umfasst 990 Millionen Individuen und mehr als 25 Millionen Firmen und Organisationen, einschließlich ausländischer Firmen und NGOs. Die neuen Maßnahmen zeigen, dass für die chinesische Regierung die Steuerung des Verhaltens von Unternehmen als mindestens genauso wichtig eingestuft wird wie die von Einzelnen.

MERICS-Analyse: Central Planning, local experiments: the complex implementation of China’s Social Credit System, MERICS China Monitor von Mareike Ohlberg, Shazeda Ahmed und Bertram Lang.

Kuomintang-Soldaten zu heldenhaft dargestellt – Filmpremiere in Shanghai abgesagt

Wegen der angeblich zu heldenhaften Darstellung von Soldaten der Kuomintang-Armee ist die Premiere eines 80 Millionen Dollar teuren Blockbusters in China abgesagt worden. Nach offizieller Darstellung waren “technische Gründe” dafür verantwortlich, dass der Film „Die Achthundert“ einen Tag vor der Erstaufführung am 15. Juni auf dem Filmfestival in Shanghai zurückgezogen wurde. Die Entscheidung sorgte für Enttäuschung und Kritik in Online-Foren.

Der von den Huayi Brothers produzierte Film erzählt die Geschichte von chinesischen Soldaten, die im Shanghai der 30er Jahre ein Lagerhaus tagelang gegen übermächtige japanische Angreifer verteidigen. Die Dreharbeiten zogen sich über zehn Jahre hin, der historische Actionfilm war von Fans mit Spannung erwartet worden.

Die Tatsache, dass die Soldaten unter der Flagge der damals in China regierenden Kuomintang-Partei kämpften, deren Anhänger später nach Taiwan flohen und dort die „Republik China“ fortsetzten, erregte wenige Monate vor dem 70. Gründungsjahrestag der Volksrepublik China offenbar den Unmut der chinesischen Zensoren. Die Flagge der Kuomintang ist heute noch die Nationalflagge von Taiwan.

In der jüngeren Vergangenheit sind bereits häufiger Filme aus „technischen Gründen“ zurückgezogen worden, die offenbar der Zensur nicht gefielen. Der neue Film von Starregisseur Zhang Yimou – „One Second“ – wurde drei Tage vor der Premiere auf der Berlinale zurückgezogen. Das gleiche Schicksal widerfuhr der TV-Serie „Novoland“, die viele als chinesische Variante von „Game of Thrones“ gelobt hatten. Sie wurde 20 Minuten vor der Online-Premiere abgesagt.

Kurz gemeldet

  • Internetkontrolle: Chinas Behörden legen „Wall Street News“-App still
  • Soziale Medien: Blogger klagt über weniger Raum für intellektuelle Debatten
  • Religion: China lässt Pastoren-Ehefrau nach sechs Monaten frei  
  • Universität: US-Mathelehrer scheitert an Aufgabe in chinesischer Hochschulzugangsprüfung

Wirtschaft, Finanzen und Technologie

London-Shanghai Stock Connect eröffnet

Seit Montag haben an der Shanghaier Börse notierte Firmen die Möglichkeit, über den London-Shanghai Stock Connect Kapital an der Londoner Börse aufzunehmen. Gleichsam können dort notierte Unternehmen Bankzertifikate für Aktien ausländischer Unternehmen (Global Depository Receipts, GDR) an der Shanghaier Börse anbieten. Huatai Securities, einer von Chinas größten Brokern, machte in London mit der Ausgabe von GDRs im Wert von 1,54 Milliarden USD den Auftakt.

Beijing möchte chinesischen Firmen Zugang zu ausländischem Kapital geben, gleichzeitig aber die Menge an chinesischem Kapital, das ins Ausland fließt, begrenzen. Bereits 2014 startete der Shanghai-Hongkong Stock Connect, der nicht nur den Handel mit Aktienzertifikaten, sondern auch mit Aktien selbst ermöglicht.

Der britische Schatzkanzler Philip Hammond nannte die Initiative „bahnbrechend“ und ein „Zeichen des Vertrauens in den britischen Markt“. Pläne für eine ähnliche Verbindung werden auch in Deutschland verfolgt. Die Frankfurter und die Shanghaier Börse vereinbarten Anfang des Jahres zu diesem Zweck eine Machbarkeitsstudie.

MERICS-Analyse: Aus Sorge um Stabilität: China lockert Kapitalverkehrskontrollen nur vorsichtig. Der neue MERICS China Monitor von Max J. Zenglein und Maximilian Kärnfelt.

Wachstum der Industrieproduktion so langsam wie seit 17 Jahren nicht mehr

Chinas Industrieproduktion ist im Mai um fünf Prozent gewachsen, nach Angaben der chinesischen Statistikbehörde (NBS) der niedrigste Anstieg seit Februar 2002. Im April war die Industrieproduktion noch um 5,4 Prozent, im März sogar um 8,5 Prozent gewachsen. Während das Wachstum in den Branchen Automobilindustrie, medizinische Produkte und Computerzubehör ebenfalls rückläufig war, gab es in der Kohleproduktion einen Anstieg.

Ein Sprecher der Statistikbehörde sah in der Entwicklung kein generelles Problem. Monatliche Schwankungen seien „normal“ und die Menschen sollten sich auf längerfristige Trends konzentrieren, sagte er vor Journalisten in Beijing. Allerdings verlangsamt sich die Industrieproduktion nach einem Jahrzehnt zweistelligen Wachstums bereits seit 2014 allmählich.

Nach Ansicht von Experten ist das langsamere Wachstum auf eine sinkende Binnennachfrage zurückzuführen. Um die Beziehungen zu den USA zu verbessern, hatte Beijing staatliche Anreize im April eingeschränkt. Die US-chinesischen Gespräche wurden jedoch mittlerweile ausgesetzt und die Vereinigten Staaten erhoben weitere Zölle auf chinesische Waren – im Wert von 200 Milliarden USD. China wiederum reagierte mit neuen Zöllen im Wert von 60 Milliarden USD auf Produkte aus den USA.

Kurz gemeldet

  • Zölle: US-Lobbygruppe warnt vor den Folgen des Handelsstreits
  • Telekommunikation: Huawei senkt Umsatzprognose angesichts der Probleme mit den USA
  • Währung: PBOC gibt Renminbi-Scheine in Hongkong aus
  • Standorte: Samsung verlagert Smartphone Produktion aus China

Der europäische Blick

EU-Länder gefährden bei Auslieferungen nach China die Sicherheit von Verdächtigen

Ungeachtet von Bedenken über das chinesische Justizsystem hat Spanien 94 mutmaßliche Telefonbetrüger aus Taiwan am 7. Juni an China ausgeliefert. Auch andere europäische Regierungen haben durch ähnliche Entscheidungen die mögliche Verletzung von Menschenrechten in Kauf genommen. Denn im chinesischen Rechtssystem sind faire Verfahren nicht gewährleistet. Auch über Misshandlungen wird regelmäßig berichtet.

2016 hatte die spanische Polizei 237 Taiwaner und Festlandchinesen festgenommen, die durch Telefonbetrug chinesische Bürger um mehrere Millionen Euro betrogen haben sollen. China forderte deren Auslieferung und berief sich auf ein bilaterales Abkommen, das Madrid und Beijing 2006 unterzeichnet hatten. Bislang lieferte Spanien 225 der Verdächtigen aus, 218 von ihnen kommen aus Taiwan. Beijing lobte Spanien dafür, dass es sich an das Ein-China-Prinzip halte.

Auch andere europäische Länder haben Chinas Vorgehen bei der Polizei- und Justizzusammenarbeit sowie die damit verbundenen Menschenrechtsverstöße unterschätzt: Die in Xinjiang lebende Familie eines uighurischen Flüchtlings in Belgien wurde nach einem Streit über Visumsanträge in der belgischen Botschaft in Beijing von der Polizei mitgenommen. Die Diplomaten hatten die Sicherheitskräfte gerufen, weil die Familie aus Angst vor den chinesischen Behörden die Botschaft nicht verlassen wollte.

Obwohl bekannt ist, dass China gegen Menschenrechte verstößt, zum Beispiel durch Entführungen, Folter und außergerichtliche Festnahmen, unterschätzen offenkundig einige europäische Länder, dass die Polizei- und Justizzusammenarbeit mit China den europäischen Bekenntnissen zur Wahrung von Menschenrechten widerspricht. Deutschland setzte 2018 die Auslieferung von zwei Uiguren nach China aus, nachdem ein uighurischer Asylbewerber fälschlicherweise nach China ausgeliefert worden und dort verschwunden war.

Neben Spanien haben weitere EU-Länder, darunter Italien, Portugal, Rumänien, Litauen, Bulgarien und Frankreich Auslieferungsabkommen mit China. Zahlreiche Mitgliedstaaten haben zudem Abkommen mit Hongkong geschlossen.

Einzelne europäische Länder erwägen inzwischen, die Polizei- und Justizzusammenarbeit mit China zu beenden. Deutschland wird sein Auslieferungsabkommen mit Hongkong prüfen, sollte die Sonderverwaltungszone zwei Gesetze verabschieden, die Auslieferungen nach China erleichtern würden. Kritiker befürchten, dass Beijing die neuen Regeln nutzen könnte, um gegen politisch Andersdenkende und Bürgerrechtsaktivisten vorzugehen. In Schweden untersucht zurzeit der Oberste Gerichtshof, ob ein der Unterschlagung verdächtigter ehemaliger chinesischer Beamter nach China ausgeliefert werden soll.

MERICS-Analyse: China in der internationalen Polizei- und Justizzusammenarbeit - Europa braucht eine differenzierte Strategie um chinesischen Initiativen zu begegnen. MERICS China Monitor von Thomas Eder, Bertram Lang und Moritz Rudolf.

Im Profil

Eine “wandelnde Katastrophe”? Carrie Lam im Kreuzfeuer der Kritik

Schon als Carrie Lam vor fast genau zwei Jahren das Amt der Hongkonger Regierungschefin antrat, war sie bei den Bürgern der Hafenmetropole nicht besonders beliebt. Im Beisein des chinesischen Präsidenten Xi Jinping legte sie den Amtseid ab, ihre Nähe zur Regierung in Beijing kam bei vielen Hongkongern nicht gut an. Heute, inmitten der nicht enden wollenden Demonstrationen gegen zwei umstrittene Auslieferungsgesetze, durchlebt Lam die größte Krise ihrer bislang so glatt verlaufenen Karriere in der Verwaltung der südchinesischen Sonderverwaltungszone.

Seit fast 40 Jahren steht die 62-Jährige Lam Cheng Yuet-ngor (林郑月娥) im Dienst der Hongkonger Verwaltung, hielt dort mehr als 20 verschiedene Positionen inne. Die Katholikin leitete von 2004 bis 2006 das Wirtschafts- und Handelsbüro der ehemaligen britischen Kronkolonie in London, ihr Mann lebt heute noch in der britischen Hauptstadt.

Als die als chinafreundlich geltende zweifache Mutter und studierte Soziologin 2017 zur fünften Regierungschefin erkoren wurde, sahen politisch bewegte Hongkonger darin bereits ein Signal dafür, dass die Kommunistische Partei Chinas nun die vor zwei Jahrzehnten bei der Übergabe an China versprochene Autonomie angreifen werde. „Ein Alptraum“ sei Lams Wahl für die Hongkonger, kommentierte seinerzeit Nathan Law, einer der Anführer der Regenschirm-Bewegung für mehr Demokratie.

Lam ist als Politikerin als arbeitsame, „gute Kämpferin“ in zähen Verhandlungen bekannt. Mit den heftigen Reaktionen auf die Pläne, per Gesetzesänderung Auslieferungen von Hongkong nach China zu erleichtern, hatte sie jedoch offenbar nicht gerechnet. Erst als die Proteste von Millionen von Bürgern sich gar nicht beruhigten, als dutzende Menschen verletzt oder festgenommen waren, ruderte sie in einem ungewöhnlichen öffentlichen Auftritt zurück und räumte „Defizite in unserer Regierungsarbeit“ ein. „Ich trage dafür die Hauptverantwortung“, sagte sie und bot ihre „aufrichtige Entschuldigung“ an.

Ob ihr demütiges Bekenntnis Carrie Lams Karriere noch retten kann, ist offen, auch wenn Beijing ihr derzeit noch den Rücken stärkt: Zurzeit sieht es nicht so aus, als könne es Carrie Lam gelingen, die Interessen von Beijing einer- und den Hongkongern andererseits besser auszubalancieren, wie sie es selber ankündigte. Die Demonstranten nehmen ihr das Versprechen, die umstrittenen Gesetzesänderungen auf Eis zu legen, nicht ab. Lam sei auf keine Forderung wirklich eingegangen, klagte die Oppositionspolitikerin Emily Lau. „Sie ist eine wandelnde Katastrophe.“