Demonstranten warten im strömenden Regen am 18. August auf der Hennesy Road in Causeway Bay, um auf das Gelände der Demonstration im Victoria Park zu gelangen. Quelle: Studio Incendo via flickr (CC BY 2.0)
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In Hongkong ist kein Ausweg in Sicht

China Update 12/2019

METRIX

Chinas Navigationssystem Beidou wird inzwischen von mehr Satelliten unterstützt als das Global Positioning System (GPS) der USA. Beidou hat seit Juni 35 Satelliten in Betrieb, GPS 31. Das Galileo-System der Europäischen Union hat 24 Satelliten.

Thema der Woche

In Hongkong ist kein Ausweg in Sicht

Hongkong befindet sich zwölf Wochen nach Beginn der Proteste inmitten einer schweren politischen Krise. Weder die Protestbewegung noch die Regierung zeigen bislang grundlegende Kompromissbereitschaft. Daran hat auch ein dreistündiges Treffen hinter verschlossenen Türen von Regierungschefin Carrie Lam mit einer Gruppe junger Leute nichts geändert. Berichten zufolge war das Treffen am 26. August auf Initiative des Beijinger Verbindungsbüros zustande gekommen, nachdem Lam eine entsprechende Plattform bereits knapp eine Woche zuvor angekündigt hatte. Details wurden bislang nicht bekannt. So ist auch unklar, wer dort als Vertreter der Protestbewegung auftrat, die anders als die Regenschirm-Revolte 2014 keine klare Führung hat – und damit auch keine offiziellen Verhandlungspartner für Carrie Lam oder Beijing.

Von Seiten der Hongkonger Regierung sind die Signale weiterhin sehr unterschiedlich. Einerseits kündigte Carrie Lam an, der Unabhängige Polizei-Beschwerde-Rat (IPCC) würde ausländische Experten an der Untersuchung der Vorfälle der vergangenen Monate beteiligen. Andererseits wies sie die fünf Forderungen der Protestbewegung erneut kategorisch zurück. Dazu zählt neben der Aufklärung der gewaltsamen Polizeieinsätze durch einen unabhängigen Untersuchungsausschuss auch die Freilassung der im Rahmen der Proteste verhafteten Demonstranten.

Die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua rückte in einem Kommentar am 25. August die Proteste in die Nähe der Farbenrevolution und knüpfte damit an den Kurs der vergangenen Wochen an. Mit einer gezielten Desinformationskampagne in den sozialen Medien hatte die chinesische Regierung versucht, die Demonstranten in Verruf zu bringen. Gefälschte Nutzerprofile drückten in sozialen Netzwerken ihren angeblichen Zorn aus und verbreiteten die vermeintliche Wahrheit über die Proteste. Die parteistaatlichen Medien wiederum zeigten vor allem Bilder von gewalttätigen Zwischenfällen.

Bislang aber haben alle Versuche der chinesischen Führung, der Lage Herr zu werden, nicht gefruchtet. Weder Demonstrationsverbote, noch die Einflussnahme auf Unternehmen in Hongkong mit dem Ziel, deren Mitarbeiter von Demonstrationen abzuhalten, noch das Bestreben, die Protestbewegung zu spalten und zu diskreditieren, haben Wirkung gezeigt. Im Gegenteil: Am 18. August gingen laut den Organisatoren 1,7 Mio. Menschen in Hongkong friedlich auf die Straße. Für das kommende Wochenende sind erneut Proteste angekündigt.

Es ist zu vermuten, dass Beijing eine gewaltsame Intervention, sei es durch die Volksbefreiungsarmee (VBA) oder die Bewaffnete Volkspolizei (People's Armed Police, PAP), vermeiden möchte. Dennoch fragen sich Beobachter, inwieweit anstehende Großereignisse den Druck auf die chinesische Führung erhöhen könnten, um jeden Preis Ruhe in Hongkong einkehren zu lassen.

Am 11. und 12. September findet in Hongkong ein Belt and Road-Gipfel statt, zu dem rund 100 Delegationen aus aller Welt anreisen. Insgesamt werden 5.000 Teilnehmer erwartet. Auf dem chinesischen Festland wiederum will die Führung den 70. Jahrestages der Gründung der VR am 1. Oktober feierlich begehen. Derzeit erscheint es fraglich, ob bis dahin eine friedliche Einigung im Konflikt zwischen Regierung und Protestbewegung erreicht werden kann. Regierungschefin Carrie Lam schloss Anfang der Woche eine Notstandsgesetzgebung in Hongkong noch aus. Diese wäre notwendig, um eine direkte Intervention durch VBA oder bewaffnete Volkspolizei rechtlich zu legitimieren.

Frank Pieke, Direktor MERICS: „Die einzige gemeinsame Basis, die Demonstranten und Beijinger Führung möglicherweise finden könnten, ist eine vollständige und dauerhafte Wiederherstellung des Prinzips ‚Ein Land, zwei Systeme‘ in Hongkong. Momentan aber scheint keine Seite daran interessiert zu sein, aus der festgefahrenen Situation herauszufinden, obwohl eine Fortsetzung der Konfrontation Gespräche und Verhandlungen weiter erschweren wird. Ein klassisches Nullsummenspiel von Parteien, die den jeweiligen Absichten des anderen grundsätzlich misstrauen und jeden Kompromiss als Schlitterpfad betrachten, der zur absoluten Niederlage führt.“

China und die Welt

China und Russland kritisieren USA wegen Raketentest

China, Russland und die USA haben sich auf einem Treffen des UN-Sicherheitsrates am 22. August einen Schlagabtausch geliefert. Das Treffen war wenige Tage nach dem Test einer Mittelstreckenrakete durch die USA von China und Russland gemeinsam einberufen worden. US-Vertreter verwahrten sich gegen Vorwürfe, wonach die USA absolute militärische Vorherrschaft anstrebten. Gleichzeitig warfen sie Russland und China vor, ihre Aufrüstung „unvermindert und unverfroren“ voranzutreiben.

Die von den USA getesteten Raketen waren bis vor kurzen unter dem Vertrag über nukleare Mittelstrecksysteme (INF) verboten gewesen. Der INF-Vertrag ist jedoch seit dem Ausscheiden der USA Anfang August außer Kraft. Russland und die USA geben sich gegenseitig die Schuld für das Ende des Vertrags.

US-Verteidigungsminister Mark Esper hatte unterdessen angekündigt, dass die USA „besser früher als später“ Raketen in Asien stationieren sollten – was vor allem China verärgern dürfte. China selbst war nie Teil des INF-Vertrags und lehnt Vorschläge für ein trilaterales Abkommen mit der Begründung ab, die eigenen Waffen würden nur zur Verteidigung eingesetzt. Die USA schätzen jedoch, dass China bereits über ein Arsenal 2.000 Mittelstreckenraketen verfügt.

Katar ändert Standpunkt zu Chinas Umgang mit Muslimen in Xinjiang

Katar hat seine Unterstützung für Chinas Umgang mit Muslimen in der autonomen Region Xinjiang im Westen des Landes zurückgezogen. Katars Ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen in Genf sagte, das Land wolle seine neutrale Position aufrechterhalten sich als Vermittler anbieten.  

Am 10. Juli hatten 22 liberale Demokratien in einem Brief an den UN-Menschenrechtsrat Chinas Umgang mit Muslimen in Xinjiang kritisiert und ein Ende der Masseninternierungen und Menschenrechtsverletzungen in der Region gefordert. Am 12. Juli unterzeichneten 37 Länder – darunter Katar und weitere mehrheitlich muslimische Länder – einen Brief, in dem China für seine “bemerkenswerten Errungenschaften bei Menschenrechten” gelobt wurde.

Ein “neutraler Standpunkt” Katars ist von einer Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang weit entfernt. Dennoch sendet das Land damit ein Signal an muslimische Minderheiten weltweit und an liberale Demokratien, die Chinas Menschenrechtsverletzungen kritisch gegenüberstehen. Die meisten muslimischen Länder haben sich bislang nicht zur Lage in Xinjiang geäußert, einige unterstützen Chinas Vorgehen.

Chinas Gewicht in den UN-Institutionen hat zugenommen, insbesondere im Menschenrechtsrat. Beijing versucht, den Fokus des Rates zu verschieben: weg von individuellen Rechten und Freiheiten und deren Wahrung und Schutz durch den Staat - hin zu Menschenrechten im Sinne eines durch den Staat gewährleisteten „Rechts auf Entwicklung“.

Innenpolitik, Gesellschaft und Medien

Gesetz soll sexuelle Belästigung klar definieren

Die chinesische Öffentlichkeit fordert klare gesetzliche Regelungen zu sexueller Belästigung. Diese Aussage machte der Sprecher des Nationalen Volkskongresses (NVK), Zang Tiewei, nachdem für eine Überarbeitung der Persönlichkeitsrechte im Zivilgesetzbuch zum Thema sexuelle Belästigung fast 32.000 Kommentare von 20.000 Bürgern eingegangen waren – mehr als für jedes andere Thema.

Laut Zang gehe sexuelle Belästigung vor allem von Vorgesetzten aus, die Ihre Position missbrauchten. Fälle seien jedoch nicht allein auf den Arbeitsplatz beschränkt.

Während viele einflussreiche Personen weltweit aufgrund von Vorwürfen der sexuellen Belästigung öffentlich kritisiert wurden, ist das Thema in erst spät China angekommen. Inzwischen sich auch #MeToo-Bewegung (#米兔, mitu oder #RiceBunny) einen Platz in der Gesellschaft erkämpft und Belästigungs-Fälle aufgedeckt, vor allem an Universitäten.

Das Ausmaß von sexueller Belästigung in China ist jedoch schwierig zu messen, da in Folge von Vorwürfen gegen Parteikader die Zensur des Themas verstärkt wurde. Die Aussagen des NVK können jedoch als hoffnungsvolles Zeichen dafür gelten, dass das Thema ernst genommen wird. Es zeigt auch, dass öffentliche Debatten die Politik der Kommunistischen Partei beeinflussen können.

Chinesische Doppelstandards zur Meinungsfreiheit

Beijing hat Vorwürfe zurückgewiesen, es habe westliche Soziale Medien manipuliert. Außenamtssprecher Geng Shuang bezeichnete die umstrittenen Beiträge als spontane Meinungsäußerungen von chinesischen Bürgern. „Der Wille von 1,4 Milliarden Menschen kann nicht blockiert oder kontrolliert, und auch nicht ausgesperrt werden,“ sagte Geng.

Im August hatte Twitter 936 Konten entfernt und 200.000 weitere gesperrt. Der Kurznachrichten-Dienst begründete dies damit, dass es sich um eine von Beijing staatlich gelenkte Desinformationskampagne gehandelt habe. Inzwischen kündigte Twitter auch eine Werbesperre für Chinas staatliche Medien an. Das soziale Netzwerk Facebook wiederum sperrte ein Dutzend Profile, denen mehrere Tausend Nutzer gefolgt waren. Auch das Videoportal Youtube deaktivierte 210 Kanäle, die Informationskampagnen koordiniert haben sollen.

Chinas parteistaatliche Zeitung People’s Daily beklagte den „Missbrauch der Medienfreiheit“ durch Twitter und Facebook. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Beijing beide Dienste seit Jahren in China blockiert, die Regierung sie allerdings zu eigenen Propagandazwecken im Ausland nutzt. Dass die chinesische Führung im Ausland die Meinungs- und Pressefreiheit hochhält, steht in einem starken Kontrast zur strengen Zensur und Informationskontrolle im eigenen Land.

Kurz gemeldet

Wirtschaft, Finanzen und Technologie

Weitere Eskalation im Handelskrieg

Der Präsident der USA Donald Trump beschuldigte China am 5. August der Währungsmanipulation, nachdem die chinesische Volksbank (PBoC) den Wert des Yuan unter 7 CNY pro US Dollar fallen ließ. Zwei Tage später verkündete China neue Zölle auf Importe aus den USA im Wert von 75 Milliarden USD.

Trump reagierte auf die chinesischen Zölle am 23. August mit der Ankündigung weiterer amerikanischer Zölle. Er sagte, die USA werde Zölle von 25 auf 30 Prozent auf Waren im Wert von 250 Mrd. USD und von 10 auf 15 Prozent auf weitere Waren im Wert von 300 Mrd. USD erhöhen.

Höhere Zölle der USA auf chinesische Waren haben bisher nicht dazu geführt, dass sich das Handelsdefizit mit China verringert hätte. Grund ist, dass die chinesische Währung ungefähr in dem Maße gefallen ist, wie sich Produkte durch Zölle verteuert haben. Verbraucherpreise in den USA sind seit Erhöhung der Zölle gestiegen, jedoch weiterhin unter dem Inflationsziel von zwei Prozent.

Die Abwertung der Währung verringert Chinas internationale Kaufkraft – mit potenziell negativen Folgen für die Seidenstraßen-Initiative und Firmen mit Schulden in US Dollar – und könnte Kapitalflucht auslösen. Die chinesische Währung verlor seit Anfang August weiter an Wert, 1 USD kosteten nun mehr als 7 CNY.

Führt China Investitionsprüfungen durch? 

Chinas Nationale Kommission für Entwicklung und Reform (NDRC) scheint ausländische Investitionen mit einem neuen Instrument prüfen zu wollen. Die Behörde kündigte eine Überprüfung einer chinesischen Supermarktkette an, die zum Teil einem ausländischem Investor gehört. Das Unternehmen hatte vor Kurzem über die Börse in Shanghai mitgeteilt, dass es seine Beteiligung an einem chinesischen Handelsunternehmen deutlich aufstocken wolle. 

Yonghui Superstores, an der der britische Mischkonzern Jardine Matheson mit 20 Prozent beteiligt ist, erhielt eine NDRC-Anfrage, nachdem die Supermarktkette im März erklärt hatte, ihren Anteil an der Wuhan Zhongbai Group über einen Aktienzukauf von 29,86 Prozent auf bis zu 40 Prozent erhöhen zu wollen.  

China hat seit 2011 einen Rahmen für die Überprüfung ausländischer Investitionen. Laut der Analysefirma Trivium ist dies aber das erste Mal, dass für eine solche Investition eine nationale Sicherheitsüberprüfung aktiviert wurde. Sollte die NDRC ihre Befugnisse ab nun regelmäßig nutzen, könnte die Unsicherheit für ausländische Unternehmen, die in China investieren wollen, zunehmen. 

In einer Erklärung teilte Yonghui am 27. August mit, dass die Investitionsprüfung noch genehmigt werden müsse und sich Yonghuis Bericht über den Aktienzukauf deshalb verzögern würde. Die NDRC war aktiv geworden, obwohl das Unternehmen bei der Bekanntgabe des Aktienkaufs angekündigt hatte, Zhongbai nicht unter seine operative Kontrolle bringen zu wollen.

Im Profil

Zhao Lijian: Ein auffällig undiplomatischer Diplomat macht Karriere

Bekannt wurde Zhao Lijian wegen seiner undiplomatischen Ausbrüche auf Twitter. In Trump-Manier zog der Diplomat verbal gegen Chinas Kritiker zu Felde. Dabei war Zhao die vergangenen vier Jahre in offizieller Mission in Pakistan, genauer gesagt als stellvertretender Gesandter der chinesischen Botschaft in Islamabad. Dort hatte er bereits von 2009 bis 2013 gearbeitet.

Zhao war einer der ersten chinesischen Diplomaten, die einen offiziellen Account auf Twitter eröffneten. Rund 51.000 Tweets setzte er während seines zweiten Pakistan-Einsatzes ab, am Ende hatte er rund 200.000 Follower. Kein Wunder, seine Äußerungen besaßen durchaus Unterhaltungswert. Als eine BBC-Dokumentation sich den Grenzen der Religionsfreiheit in Xinjiang widmete, attackierte Zhao den Sender mit den Worten: „Steckt Eure Nase nicht überall rein. Xinjiang ist nicht Eure Angelegenheit, kümmert Euch lieber um den Brexit!“ Großbritanniens Appelle an China, sich in Hongkong zurückzuhalten, bezeichnete er als „schamlos“. Viele Briten seien die Nachfahren von Kriegsverbrechern, so sein Argument. 

Im Juli verwahrte er sich dann auf Twitter gegen Kritik aus den USA an Chinas Politik in Xinjiang. Er argumentierte mit dem Rassismus in den USA, wo die Immobilienpreise in bestimmten Städten fielen, sobald eine schwarze Familie irgendwo einziehe. Susan Rice, ehemalige Sicherheitsberaterin unter US-Präsident Obama forderte daraufhin per Twitter den chinesischen Botschafter in den USA auf, Zhao nach Hause zu schicken. Sie bezeichnete den Diplomaten als „rassistische Schande“.

Aus Sicht Beijings aber hat Zhao seine Sache in dem für China und die Belt and Road-Initiative zunehmend wichtigen Land Pakistan offensichtlich gut gemacht. Denn kurze Zeit später stieg er auf zum stellvertretenden Generaldirektor in der Informationsabteilung des chinesischen Außenministeriums. Dort arbeitet er für den ebenfalls neu ernannten Generaldirektor Hua Chunying, der unter anderem die Pressekonferenzen für in- und ausländische Medienvertreter leitet. 

Die Medien in Pakistan würdigten den Diplomaten zum Abschied als ausgesprochen aktiven Vertreter Chinas, der Teil eines Dream Teams an der Botschaft gewesen wäre. Zhao schrieb in seinem letzten Tweet aus Pakistan am 9. August: “Ich verlasse Pakistan schweren Herzens, denn Pakistan hat mir mein Herz geraubt, und nun muss ich gehen.“ Mal sehen, wann Zhao in seiner neuen Funktion zu Twitter zurückkehrt.