Tränengas auf den Straßen in der Nähe von Lan Kwai Fong, Hongkong am 31. Oktober 2019. Foto: Katherine Cheng via Flickr (CC BY-ND 2.0)
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Eskalation in Hongkong – keine Lösung in Sicht

China Update 16/2019

Thema der Woche

Eskalation in Hongkong – keine Lösung in Sicht

Die Proteste in Hongkong sind weiter eskaliert. Am Montag erlebte die ehemalige Kronkolonie einen der bisher gewaltsamsten Tage seit Ausbruch der Proteste vor gut fünf Monaten. Bei Ausschreitungen schoss ein Polizist einem Demonstranten in den Bauch. Insgesamt wurden knapp einhundert Menschen verletzt. Am Dienstag weiteten sich die Demonstrationen erstmals auch auf die Hochschulen aus. Betroffen waren das Gelände der Chinese University von Hongkong sowie drei weitere Hochschulen. Die Polizei setzte dort Tränengas und Gummigeschosse gegen die Demonstrierenden ein, nachdem die Aktivisten Augenzeugenberichten zufolge zuvor Steine geworfen und Barrikaden errichtet hatten.

Andernorts legten Protestierende erneut Teile des öffentlichen Nahverkehrs lahm, indem sie Gegenstände auf Bahngleise warfen. Im Geschäftsviertel Central hatten sich wieder Tausende an den Kundgebungen beteiligt und mehrere Straßenzüge besetzt. Polizeisprecher Kong Wing Cheung wurde mit den Worten zitiert: der Hongkonger Rechtsstaat stehe "am Rande des Zusammenbruchs".

Der Tod eines Demonstranten am vergangenen Freitag, der auf der Flucht vor der Polizei mutmaßlich von einem Parkdeck gestürzt war, hat die Proteste weiter angeheizt. Zahlreiche Geschäfte und Büros, die von den Protestierenden als Beijing-nah eingeschätzt wurden, waren in den letzten Tagen beschädigt worden, darunter auch das Hongkonger Büro der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Ein Festlandchinese wurde nach einem Streit vermutlich absichtlich angezündet und befindet sich noch immer in kritischem Zustand. Nach verbalen Attacken und gewaltsamen Übergriffen gegen Festlandschinesen kehren zahlreiche Studierende und Arbeiter zurück in ihre Heimat.  

Der chinesische Außenamtssprecher Geng Shuang warf den Demonstranten in Hongkong "haarsträubendes Benehmen" vor. Die Bevölkerung werde dadurch in Angst versetzt. Die zunehmende Gewalt wurde auch international kritisiert. So verurteilten die USA den Einsatz von Gewalt auf "allen Seiten, unabhängig von ihrer politischen Neigung" und riefen alle Konfliktparteien zur Zurückhaltung auf. Die britische Regierung bezeichnete die Eskalation in Hongkong als "zutiefst verstörend".

Die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam scheint nach der Rückendeckung von Partei- und Staatschef Xi Jinping und einem Treffen mit Vizepremier Han Zheng wieder fester im Sattel zu sitzen. Es sei Wunschdenken, dass Gewalt dazu führen werde, dass die Hongkonger Regierung den Forderungen der Demonstranten nachkomme, so Lam. In der Abschlusserklärung, die die KPC am Ende ihres 4. Plenums in Beijing vorlegte, betont sie die Notwendigkeit, die nationale Sicherheit in Hongkong zu wahren und kündigte erneute Bemühungen an, nationale Sicherheitsgesetzgebung und patriotische Erziehung einzuführen, was frühere Proteste ausgelöst hatte.

Katja Drinhausen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am MERICS: "Mit ihrer Kommunikationsweise und den angekündigten Maßnahmen erschwert die Zentralregierung in Beijing eine friedliche Auflösung der Proteste."

China und die Welt

Europäische Universitäten kämpfen mit chinesischer Einflussnahme

Enthüllungen über die Versuche chinesischer Einflussnahme sorgen an europäischen Universitäten für Verunsicherung. Verfechter einer pro-Beijing Haltung haben versucht, Einfluss auf drei akademische Institutionen zu nehmen – ein Beleg für das Bestreben Beijings, die öffentliche Meinung in liberalen Demokratien zu beeinflussen. Investigativen Recherchen tschechischer Medien zufolge finanzierte die chinesische Botschaft in Prag einen Kurs sowie Konferenzen an der Karls-Universität, die Propaganda zur chinesischen Seidenstraßen-Initiative (Belt and Road Initiative, kurz BRI) verbreiteten.  

Etwa zur selben Zeit wurde an der Freien Universität Brüssel bekannt, dass der frühere Leiter des Konfuzius-Instituts Song Xinning der Spionage verdächtigt wird und ihm für acht Jahre die Einreise in den Schengen-Raum untersagt wurde. Kurz zuvor hatte die Financial Times berichtet, dass die London School of Economics Pläne für ein China-Programm auf Eis gelegt hatte, das von Eric Li, einem pro-Beijing Wagniskapitalgeber finanziert werden sollte.  

Die Ereignisse werfen Licht auf die Art und Weise, wie Beijing versucht, Narrative über China im Ausland in seinem Sinne zu prägen. Ähnliche Fälle sind auch in Australien, Neuseeland und Nordamerika bekannt geworden.   

MERICS Analyse: Authoritarian advance: Responding to China's growing political influence in Europe. Studie von MERICS und GPPi.

Macron in China: Europäisch-chinesisches Abkommen schützt Herkunft von Lebensmitteln

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Anfang November in Beijing seinen chinesischen Amtskollegen Xi Jinping getroffen. Paris und Beijing unterzeichneten Handelsverträge mit einem Volumen von 15  Milliarden USD in den Bereichen Energie, Luftfahrt, Landwirtschaft und Umweltschutz. Obwohl das Treffen keine Bewegung bei strittigen Themen brachte, wie etwa Beijings Subventionen für Staatsunternehmen, konnte die Europäische Union einen Erfolg verbuchen: ein seit langem erwartetes Abkommen über den Schutz von 100 europäischen geografischen Herkunftsbezeichnungen in China, darunter für Feta und Champagner, und für 100 chinesische Produkte – wie den weißen Tee aus Anji – in der EU.  

Für die EU unterzeichnete der Kommissar für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung Phil Hogan das Dokument, der mit dem französischen Präsidenten nach China gereist war. Dass der italienische Außenminister Luigi di Maio, der für eine Handelsmesse im Land war, bei der Unterzeichnung nicht anwesend war, ist bemerkenswert. Macron präsentiert sich als führender Gestalter der europäischen China-Politik. Während der Europa-Reise des chinesischen Staatschefs Xi Jinping im März lud Macron die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sowie den damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker nach Paris – ein deutliches Signal der europäischen Geschlossenheit gegenüber Beijing. Macron ist zudem dafür bekannt, gegenüber China auch kritische Töne anzuschlagen, etwa wenn es um staatliche Unterstützung für die Wirtschaft, freien Marktzugang oder die Neue Seidenstraße geht.

Innenpolitik, Gesellschaft und Medien

Xi präsentiert beim 4. Plenum Kernpunkte des Regierungsmodells der “neuen Ära”

Auf dem 4. Plenum des 19. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) Ende Oktober sprach sich die Parteiführung für „Verbesserungen“ aus. Diese sollen dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“, dem Umweltschutz, der Aufsicht über Partei und Staat sowie zehn weiteren Politikbereichen gelten. Nachdem Staats- und Parteichef Xi Jinping seine Macht zementiert und strukturelle Reformen umgesetzt hat, nutzte er das hinter verschlossenen Türen stattfindende Treffen, um die Kernpunkte des Regierungsmodells der „neuen Ära“ zu präsentieren und eine neue Phase einzuleiten. 

Während das Plenum im vergangenen Jahr einen Umbau der Strukturen von Partei und Staat beschloss, standen in diesem Jahr die Umsetzung politischer Maßnahmen und die Einhaltung der offiziellen Parteilinie im Mittelpunkt. Das Plenum verabschiedete die offiziellen „Entscheidungen zu einigen zentralen Fragen zur Wahrung und Verbesserung des Sozialismus mit chinesischen Besonderheiten und zur Förderung der Modernisierung der Regierungsführung und Regierungsfähigkeit“. Die Parteiführung formuliert darin das Ziel, die Kompetenzen der KPC in der Politikgestaltung, Kontrolle von Beamten und Umsetzung politischer Maßnahmen zu stärken.  

Ausführlich werden in dem Dokument auch Xis bisherige Bestrebungen bestätigt: Dazu zählt dessen Position als Kern der Partei ebenso wie der absolute Führungsanspruch der Partei und die Rolle von Staatsunternehmen als tragende Säule der Wirtschaft. Das Plenum machte zudem deutlich, dass viele bereits bestehende Initiativen – darunter die sozialistischen Kernwerte oder die Umweltpolitik – als Teil eines umfassenden Systemumbaus zu betrachten sind. 

Xi Jinping setzt auf Blockchain-Technologie

Der chinesische Partei- und Staatschef Xi Jingping hat eine Studiensitzung des Politbüros Ende Oktober genutzt, um Blockchain als bahnbrechende Technologie hervorzuheben. Gleichzeitig sprach er sich dafür aus, sie in China schneller und breiter zu entwickeln. Er betonte, dass Blockchain-Technologie bereits im Finanzbereich und in der Produktion eine wichtige Rolle spiele. Nun solle diese Technologie auch eingesetzt werden, um wirtschaftliche Probleme wie die Finanzierung kleinerer und mittlerer Unternehmen oder das Risikomanagement im Bankensektor sowie gesellschaftliche Aufgaben wie Bildung, Beschäftigung und Lebensmittelsicherheit besser zu lösen.  

Xis Äußerungen sind insofern bemerkenswert, als dass die Blockchain-Technologie in China eine sehr wechselhafte Geschichte hinter sich hat. Nachdem durch Bitcoin die erste funktionierende Blockchain weltweit hervorbracht wurde, begann China schnell den dezentralisierten weltweiten Kryptowährungssektor zu dominieren. 2017 dann sah sich Beijing jedoch gezwungen, Kryptowährungen dramatisch zu beschränken, um die Stabilität im Finanzsektor nicht zu gefährden. Gleichzeitig wuchs das Interesse der Regierung, die zugrundeliegende Technologie in anderen Bereichen einzusetzen. 

Xis jüngste Äußerungen dürften Blockchain in China neuen Auftrieb geben: Ein neues Verschlüsselungsgesetz soll Regierungsabteilungen transparenten Zugang zu Verschlüsselungstechniken garantieren. Zugleich wurde „mining“, die Durchführung mathematischer Berechnungen durch Computerhardware, von der Liste unerwünschter Branchen gestrichen. Disruptive Innovationen und die Verkürzung von Produktlebenszyklen haben die Kontrolle von Daten zu einem Schlüsselanliegen gemacht. Xis Rückendeckung für Blockchain ist ein wichtiges Signal, dass China damit künftig umgehen will.

MERICS analysis: 

China’s blockchain conundrum. Blogpost by Kai von Carnap.
Worried about Huawei? Then worry about Chinese blockchains, too. Blogpost by Kai von Carnap.

Wirtschaft, Finanzen und Technologie

Alibaba kurz vor Börsengang in Hongkong

Chinas E-Commerce-Riese Alibaba könnte bereits Ende November an der Hongkonger Börse gelistet werden, nachdem die Behörden die Genehmigung erteilt haben. Die Zweitnotierung – Alibaba ist bereits an der New Yorker Börse gelistet – hatte sich im August aufgrund der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Situation in der Sonderverwaltungszone verzögert. Dank der Erfolgszahlen der letzten Zeit scheinen die Pläne jedoch neuen Aufwind erhalten zu haben: der Wert der verkauften Waren am sogenannten „Singles' Day“ am 11. November war um 26 Prozent höher als 2018. Die Nettogewinne des Online-Händlers verdreifachte sich im dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahr auf 10,4 Milliarden USD.

Von dem Börsengang verspricht sich Alibaba Berichten zufolge bereits bis zum 25. November Kapital in Höhe von zehn und 15 Milliarden USD zu zeichnen. Das entspräche der größten Notierung an der Hongkonger Börse und möglicherweise der zweitgrößten weltweit (nach der Saudi-arabischen Erdölgesellschaft Aramco).

Alibaba entschied sich 2014 für den Börsengang in New York, nachdem die Hongkonger Börse am Verbot von Unternehmen mit “Dual-Class-Shares”, also Aktien mit unterschiedlichen Stimmrechtsanteilen festhielt. Vergangenes Jahr wurden die Regeln dann gelockert. Die Notierung in Hongkong wäre vor dem Hintergrund der anhaltenden Proteste ein wichtiges Signal für die Finanzmetropole. Das Vertrauen der Investoren könnte dadurch gestärkt werden. Der Börsengang Alibabas könnte auch weitere, in den USA börsennotierte chinesische Unternehmen, wie Baidu und JD.com, an die Hongkonger Börse locken und die Position Hongkongs für Erstnotierungen (IPO) stärken. Es dürfte im Interesse Beijings sein, wenn auch chinesische Investoren - über die Hongkong-Shanghai Stock Connect Anleihen dieser Unternehmen erwerben könnten.

Globaler Aktienindex verleiht chinesischen Wertpapieren mehr Gewicht

Der internationale Aktienindex-Anbieter MSCI will den Anteil chinesischer A-Aktien in seinem einflussreichen Emerging-Market-Index von 2,5 auf 4,1 Prozent erhöhen. A-Aktien werden an den Börsen in Shanghai und Shenzhen in chinesischer Währung gehandelt. Künftig wären 204 chinesischen Unternehmen im MSCI-Emerging-Markets-Index vertreten – das entspricht 20 Prozent der Unternehmen mit Aktien dieser Kategorie, zuvor waren es 15 Prozent.

Nach der Einführung der “Shanghai-Hong Kong Stock Connect” 2014, die Verbindung der Börsenplätze in Shanghai (SSE) und Hong Kong (HKSE) im Jahr 2014,  erklärte MSCI, das Index-Gewicht chinesischer A-Aktien erhöhen zu wollen. Im China-Index s Aktienindexanbieter sollen A-Anleihen einen Anteil von rund 12 Prozent haben. Die “Stock Connect” machte damit den Weg frei für Finanzströme, die sich nun auch in der MSCI-Gewichtung widerspiegeln.

Die Anpassungen der MSCI-Indizes werden automatisch dazu führen, dass mehr Kapital nach China fließt, da Rentenfonds und andere Finanzinstitutionen ihre Investition in Anleihen nach deren Index-Gewicht ausrichten. Das könnte angesichts der Kapitalabflüsse aus China auch zu ausgewogeneren Kapitalbewegungen führen.

Der Europäische Blick

Widerstand gegen eine Beteiligung von Huawei oder ZTE am 5G-Ausbau in Deutschland wächst

von Noah Barkin, Visiting Academic Fellow am MERICS

Während der zurückliegenden Monate war die deutsche Debatte über den 5G-Ausbau geprägt von schwer nachvollziehbaren Technologiediskussionen von in der Öffentlichkeit eher unbekannten Regierungsbehörden, die meist hinter verschlossenen Türen geführt wurden. In den vergangenen Wochen jedoch traten bereits seit langem schwelende Spannungen innerhalb der schwarzroten Regierungskoalition von Bundeskanzlerin Angela Merkel offen zu Tage. Dabei ging es um die Frage, ob man chinesische Telekommunikationsunternehmen wie Huawei oder ZTE am Ausbau des Mobilfunknetzwerks der nächsten Generation beteiligen solle oder nicht. Noch ist es zu früh, um zu sagen, wie die Sache ausgeht. Aber die offene Auseinandersetzung ist wichtig und überfällig.

Auslöser für die öffentliche Zuspitzung war die Abschwächung der Sicherheitskriterien für die Auswahl der 5G-Lieferanten durch den Bundeswirtschaftsminister, mit offensichtlicher Zustimmung des Kanzleramtes. Sie verträten die Ansicht, so erläuterte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bei einem Treffen konservativer Bundestagsabgeordnete in den Tagen nach der Vorstellung des sogenannten Sicherheitskatalogs, dass härtere Regeln zu einem de facto-Ausschluss von Huawei und ZTE geführt und damit einen herben wirtschaftlichen Rückschlag für die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen bedeutet hätten. Deutsche Regierungsvertreter bestätigten, dass Merkel während ihrer China-Reise Anfang September entsprechende Drohungen übermittelt worden seien.

Der erste, der zurückschlug, war Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Er scharte in kurzer Zeit eine Gruppe konservativer Parlamentarier um sich, die öffentlich gegen eine Beteiligung Chinas am deutschen 5G-Netzwerk wetterten. Damit war die Diskussion eröffnet. Dicht nacheinander äußerten zunächst der Chef des Bundesnachrichtendienstes Bruno Kahl, Außenminister Heiko Maas, und dann – noch maßgeblicher– die von Merkel selbst ausgewählte Nachfolgerin als CDU-Parteivorsitzende (und zugleich Bundesverteidigungsministerin) Annegret Kramp-Karrenbauer ihre Skepsis gegenüber einer Beteiligung chinesischer Firmen. Bei einer Anhörung im Bundestag zu 5G, die Röttgen diese Woche organisiert hatte, wurde deutlich, dass diese Bedenken auch von Abgeordneten anderer Parteien, darunter der SPD, Bündnis90/Die Grünen sowie der FDP, geteilt werden.

Inmitten dieses Aufschreis wurde die Frist für Rückmeldungen zu den neuen Sicherheitskriterien verlängert. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Prozess sich bis in das zweite Quartal 2020 hinzieht oder sogar noch länger. Merkel und die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen haben deutlich gemacht, dass sie sich eine gemeinsame EU-Position zu 5G wünschen. Das ist unwahrscheinlich. Um auch nur den Anschein eines Konsenses zu erreichen, müsste Deutschland sich zunächst selbst klar werden, was es will.

Im Profil

Chinas Mann im Politbüro für Hongkong

Hongkong zählt zu seinem Zuständigkeitsbereich. Eigentlich müsste sich der stellvertretende Ministerpräsident mit internationalen Hafenstädten auskennen. Vor sechzehn Jahren war Han Zheng mit damals gerade 48 Jahren zum Bürgermeister von Shanghai ernannt worden. Später wurde er Parteisekretär der ostchinesischen Hafenmetropole. Doch seit es im Frühsommer in Hongkong zu Protesten kam, dürfte ihm klar sein: die ehemalige Kronkolonie stellt auch ihn vor eine große Bewährungsprobe. Lange Zeit schwieg die Beijinger Führung zu den Entwicklungen in Hongkong. Nach einem kurzen Treffen von Partei- und Staatschef Xi Jinping und der Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam am Rande einer Messe in Shanghai war es Han Zheng, der sich als erster Vertreter der chinesischen Zentralregierung ausführlich zu Hongkong äußerte. Offiziell empfing er Carrie Lamdie viele bereits abgeschrieben hatten.

Bei diesem Treffen signalisierte der Vizepremier einerseits Unterstützung für aggressivere Maßnahmen der Hongkonger Regierung zur Bekämpfung der Aufstände. Denn, so seine Begründung, die Proteste schadeten der Formel “ein Land, zwei Systeme.” Eindringlich warnte Han vor den Folgen der Unruhen, die schon viel weiter gegangen seien, als man es in vielen anderen Ländern toleriert habe. Gleichzeitig forderte er Carrie Lam jedoch auf, eine proaktiviere Politik zu verfolgen und mehr zu tun, um die Lebensbedingungen in Hongkong zu verbessern.

Der 65jährige ist einer  der sieben formal mächtigsten Männer in China: Han Zheng sitzt seit zwei Jahren im Ständigen Ausschuss des Politbüros und ist dort neben Hongkong auch für Macao sowie regionale Integrationsprojekte und die Greater Bay-Area in Südchina zuständig. Er strickt also gewissermaßen parallel zum Krisenmanagement in Hongkong und der Einbindung der Stadt in die Greater-Bay-Area auch bereits am Ausbau des Konkurrenzmodells Shenzhen für Hongkong.