People sit in an EV car standing on display at the BYD company booth, during the second press day of the 20th Shanghai International Automobile Industry Exhibition, in Shanghai, China, 19 April 2023.
MERICS Briefs
MERICS China Essentials
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Shanghaier Automesse + Chinesischer Botschafter zu Ukraine + Europäische Tech-Unternehmen in China

Top Thema

Chinas E-Auto-Hersteller geben auf Shanghaier Automesse das Tempo für ausländische Konkurrenz vor

Die Automesse in Shanghai Ende April hat gezeigt: Westliche Autobauer müssen zunehmend nach China blicken, wenn es um Innovationen und Kooperationen in ihrer Branche geht. Erstmals seit 2019 und einer pandemiebedingten Pause konnten internationale Firmen in diesem Jahr wieder in großer Zahl an der Messe teilnehmen. Dort wurden sie offenbar überrascht von den Fortschritten, die ihre chinesischen Konkurrenten in den vergangenen vier Jahren gemacht haben.

Europäische Unternehmen wollen ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in China ausbauen, um mit dem rasanten Tempo der Innovationen auf dem weltweit größten Markt für Elektromobilität mitzuhalten.

Einige chinesische Produkte, die in Shanghai bis 27. April zu sehen waren, setzen neue Maßstäbe bei Reichweite, Batterieleistung und Technologien. Das Modell Seagull von BYD soll eine Reichweite von 300 Kilometern haben und zum Preis von nur 11.400 USD erhältlich sein. Der SUV EV U8 der BYD-Premiummarke Yangwang ist laut dem Hersteller zu einer 360-Grad-Panzerwende („tank turn“) in der Lage. Chinas Batterieriese CATL kündigte an, neue Natrium-Ionen-Batterien – eine günstigere Alternative zu Lithium-Akkus – in Fahrzeugen der chinesischen Elektroauto-Marke Chery erstmals zum Einsatz zu bringen.

Der Erfolg von Chinas E-Mobilitätsbranche lässt sich auch am signifikanten Zuwachs der Marktanteile chinesischer Hersteller ablesen. 2020 hielten heimische Marken nur 35,7 Prozent der Marktanteile in China, im ersten Quartal 2023 waren es bereits 49,7 Prozent. Im selben Zeitraum fiel der Marktanteil deutscher Hersteller von 25,5 auf 21,8 Prozent und der von japanischen Herstellern von 24,1 auf 16,8 Prozent.

Einige europäische Autobauer integrieren chinesische Unternehmen bereits in ihre Wertschöpfungsketten und beziehen beispielsweise Batterien von CATL. Zudem werden F&E-Aktivitäten im Land immer attraktiver, da sich Unternehmen dadurch einen besseren Zugang zu Chinas weltweit führendem Innovationssystem in der Branche erhoffen.

MERICS-Analyse: „Für europäische Autobauer war die Automesse in Shanghai ein Weckruf: chinesische Hersteller stellten innovative Modelle vom günstigen bis zum Premium-Segment vor, sowie bahnbrechende Technologien bei Batterien und anderen Segmenten.“, sagt MERICS-Experte Jacob Gunter. „Angesichts ihrer hohen Investitionen und schrumpfenden Marktanteile müssen europäische Unternehmen in China – zunehmend aber auch auf ihren Heimatmärkten – sich für starke Konkurrenz mit chinesischen Firmen wappnen.“

Mehr zum Thema: China's innovation system and the localization dilemma, Studie von MERICS und der Europäischen Handelskammer in China

Medienberichte und Quellen: 

Metrix

23,7%

Das ist der Anstieg der Tweet-Impressionen (eine Kennzahl dafür, wie oft ein Beitrag angezeigt wurde) bei Konten von sechs chinesischen Staatsmedien, seit der Kurznachrichtendienst die Labels und Filter für staatsnahe Profile entfernt hatte. Bis zu den Änderungen am 29. März hatte Twitter Beiträge staatlicher Medien gekennzeichnet und über seinen Algorithmus deren Sichtbarkeit eingeschränkt. Die Entscheidung von Twitter-Chef Elon Musk, staatliche Medien nicht länger auszuweisen, birgt das Risiko der Einflussnahme parteistaatlicher chinesischer Medien auf die öffentliche Meinung in westlichen Ländern. Es unterstreicht zudem einmal mehr die Notwendigkeit von Regulierungen. (Quellen: MERICS-Analyse von Twitter-Daten zwischen 17. März und 18. April 2023, DFRLab)

Themen

Chinas Botschafter in Frankreich stellt Souveränität der Ukraine in Frage und testet Stimmung in Bezug auf Taiwan

Die Fakten: In einem Interview mit dem französischen Nachrichtensender LCI hat der chinesische Botschafter in Frankreich, Lu Shaye, indirekt die Souveränität der Ukraine in Frage gestellt. Lu behauptete, die Länder der ehemaligen Sowjetunion hätten „keinen effektiven Status, weil es kein internationales Abkommen gibt, um ihren Status als souveränes Land zu konkretisieren“. Lu fällt nicht zum ersten Mal mit kontroversen Äußerungen auf. Er gehört zu Chinas „Wolfskrieger“-Diplomaten in Europa. Diese sind für konfrontative Äußerungen und aggressive Verteidigung chinesischer Positionen bekannt und nehmen dafür auch in Kauf, den Beziehungen Chinas zu den Ländern, in die sie entsandt sind, Schaden zuzufügen. Zuletzt hatte es so ausgesehen, als würde China auf eine gemäßigtere Diplomatie setzen.

Der Blick nach vorn: Beijing hat sich offiziell von Lus Äußerungen distanziert. Diese gäben Lus persönliche Sichtweise, nicht aber Chinas offizielle Position wieder. Eine öffentliche Rüge musste der Botschafter jedoch nicht einstecken. Es bleibt abzuwarten, ob Lus Bemerkungen ein Einzelfall bleiben oder in Zukunft ähnliche Töne laut werden. Letzteres würde bedeuten, dass China Russland noch deutlicher unterstützt. Bislang war Beijing relativ zurückhaltend bei dem Thema. Gestern hat Chinas Staats- und Parteichef Xi erstmals seit Beginn der russischen Invasion mit dem ukrainischen Präsidenten Selenski telefoniert.

MERICS-Analyse: „Die Aussagen des Botschafters können als Austesten einer extremen Argumentation eingeordnet werden“, sagt MERICS-Expertin Francesca Ghiretti. „Um die Beziehungen zu Europa nicht weiter zu belasten, hat Beijing sich von Lus Kommentaren distanziert. Diese schaffen aber die Grundlage, Parallelen zwischen der Ukraine und Taiwan zu ziehen, indem beide nicht als eigenständige Staaten anerkannt werden. Eine solche Lesart würde nicht nur den russischen Angriffskrieg legitimieren, sondern auch künftige Schritte Beijings zur Eroberung Taiwans.”

Medienberichte und Quellen:

Ranghohe EU-Besuche halten Beijing nicht von Festnahmen von Menschenrechtsaktivisten ab

Die Fakten: In den vergangenen Wochen sind ranghohe Akteure aus EU-Staaten nach Beijing gereist, um den Austausch mit China wieder zu beleben und gemeinsame Nenner zu finden. Sie appellierten an Beijing, international Menschenrechtsstandards einzuhalten. Die Besuche wurden jedoch von Festnahmen und Verurteilungen von Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Bürgern auf dem Festland und in Hongkong überschattet (siehe Grafik). Auch das Schicksal von Demonstranten, die im Zusammenhang mit den Protesten Ende letzten Jahres verhaftet wurden, ist ungewiss.

Der Blick nach vorn: Beijing verhält sich deutlich anders als noch vor drei oder vier Jahren, als die Führung insbesondere bei internationalen Besuchen darauf bedacht schien, keine Aufmerksamkeit auf solche Fälle zu ziehen. Heute stellt die chinesische Führung ihr Vorgehen gegen Dissidenten im Namen der öffentlichen und politischen Ordnung offen zur Schau. Das gilt nicht nur für das Festland. In Hongkong laufen Prozesse und immer neue Personen werden wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit verhaftet, inklusive für die Veröffentlichung von Online-Beiträgen während Auslandsaufenthalten. Während die chinesische Führung in der Vergangenheit noch Reputationsrisiken scheute, setzt der Parteistaat unter Xi auf Chinas globale Macht und politische Hebel, um sein Image im Ausland zu polieren.

MERICS-Analyse: „Beim Austausch mit China müssen sich ausländische Staats- und Regierungschefs bewusst sein, dass China trotz offiziellen Bekenntnissen ein anderes Konzept von Menschenrechten durchsetzen möchte,“ sagt Katja Drinhausen, Programmleiterin Politik und Gesellschaft bei MERICS: „Beijing argumentiert, dass Stabilität und kollektive Sicherheit notwendig sind, um die Menschenrechte zu schützen – ungeachtet der Kosten für Individuen ”, sagt MERICS-Experte Alexander Davey.

Medienberichte und Quellen:

Schwierige Zeiten für europäische Tech-Unternehmen in China

Die Fakten: Anfang April trafen sich chinesische Tech-Unicorns, darunter Galaxy Space, Hyper Strong und Horizon Robotics, mit dem neuen Ministerpräsidenten Li Qiang. Li wurde von Chinas Industrie- und Wissenschaftsministern zu dem Termin begleitet, der medial auf großes Interesse stieß. Das Treffen ist ein weiterer Beleg für das Ende des harten regulatorischen Durchgreifens gegen die Tech-Industrie. In Xi Jinpings „neuer Ära“ gilt nun für strategisch wichtige Branchen wie grüne Energie, Halbleiter, Software und KI sowie Biotechnologie ein neuer Status quo. Die „Zentrale Kommission für die umfassende Vertiefung der Reformen“ – ein überministerielles Parteigremium unter der Leitung von Xi persönlich – kündigte jüngst an, die Privatwirtschaft bei der Entwicklung einheimischer Technologien noch stärker zu unterstützen.

Der Blick nach vorn: Im Streben nach technologischer Eigenständigkeit werden Chinas Tech-Stars in strategischen Sektoren immer mehr Unterstützung erhalten. Gleichzeitig erhalten europäische Unternehmen in diesen Bereichen unterschiedliche Signale. Während der niederländische Halbleitermaschinen-Hersteller ASML und das deutsche Chemieunternehmen BASF eine Vorzugsbehandlung erhielten, wurde Nokia unter Druck gesetzt, ein Joint-Venture zu IoT-Technologien mit Huawei aufrechtzuerhalten. SAP sieht sich in seinem Kerngeschäft Industriesoftware neuer Konkurrenz durch Huawei ausgesetzt.  

MERICS-Analyse: „Die neuesten Entwicklungen zeigen, wie fragil das Geschäftsumfeld in Chinas strategischen Sektoren ist", sagt MERICS-Experte Kai von Carnap. „Einerseits will Beijing sich den Zugang zu strategischen und unersetzlichen Produktionslinien sichern, andererseits ersetzt es, wo möglich, ausländische Unternehmen durch einheimische. Ausländische Technologieunternehmen, die nicht unersetzlich sind, werden zunehmend ungünstige Bedingungen vorfinden. Diejenigen, die noch über nützliche Technologie oder Know-how verfügen, will Beijing überzeugen, in China zu bleiben."

Mehr zum Thema: Decoupling - Severed ties and patchwork globalization, Studie von MERICS und der Europäischen Handelskammer in China

Medienberichte und Quellen:

Rezension

The Twilight Struggle, von Hal Brands (Yale University Press 2022)

Auf dem Nationalen Volkskongress im März prangerte Xi Jinping die „umfassende Unterdrückung” Chinas durch den Westen an. Der Politologe und Autor Hal Brands würde dem wohl ein „Schön wär’s” entgegenhalten. Mit seinem Buch über die Geschichte des Kalten Kriegs möchte Brands, der an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies (SAIS) forscht, das „Urteilsvermögen“ derjenigen „schärfen“, die an den Hebeln der Macht sitzen. Das ist in den USA seiner Ansicht nach derzeit bitter nötig. Brands befürchtet, dass die US-Eliten wie am Beginn des Kalten Krieges mit der Sowjetunion auch heute nicht ausreichend vorbereitet sind auf die Rivalitäten mit China und Russland, die dem Autor zufolge „wahrscheinlich“ bereits Kalte Kriege sind.

Brands gab seinem Buch den Untertitel „Was uns der Kalte Krieg über die Rivalität zwischen Großmächten heute lehrt“ und fasst dies im letzten Kapitel in zwölf Punkten zusammen. Vorher arbeitet er sich durch die Höhen und Tiefen der US-Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg: die Erkenntnis, dass die USA nicht gegen Stalin kämpfen sollten, die Geburtsstunde der Eindämmung unter einem „nuklearen Schutzschild“, die Erfindung der „freien Welt“, das nukleare Wettrüsten, die Stellvertreterkriege und den desaströsen Vietnamkrieg, die Stärke der Sowjetunion in den 1970er Jahren, den Besuch von Nixon in China, die Entspannungspolitik, den wirtschaftlichen, technologischen (und militärischen) Vorsprung der USA, und deren Sieg dank Reagan, Gorbatschow und Bush.

Obwohl der Kalte Krieg mit hohen Aufwänden und Kosten verbunden gewesen sei, war er laut Brands einem offenen Krieg ebenso vorzuziehen wie einem „Appeasement“-Ansatz. Die Rivalität zwischen Großmächten sei unvermeidbar und ein Null-Summen-Spiel. Eine der Schlussfolgerungen Brands lautet: „Der langfristige Wettbewerb erfordert ein Navigieren zwischen […] einer desaströsen Eskalation und einem desaströsen Rückzug“.

Das Instrument seiner Wahl für diesen „Kampf im Zwielicht“ mit China und Russland ist die Einhegung. Darunter versteht er nicht ein tolerierendes Nebeneinander (Entspannungspolitik ist seiner Meinung nach immer zum Scheitern verurteilt), sondern einen Schritt in Richtung des Siegs einer Seite. „Dem Verlierer droht der Abstieg, gar ein Desaster“, warnt er – und scheint zuversichtlich, dass die Furcht davor die Urteilskraft seiner Landsleute schärfen wird.   

Rezension von Gerrit Wiesmann, freiberuflicher Redakteur

MERICS China Digest

China’s Xi calls Zelenskyy, in first contact since Putin launched war on Ukraine (Politico)

Chinese president Xi Jinping spoke to Ukraine’s president Volodymyr Zelenskyy on the phone this Wednesday. It was the first time Xi has spoken to Zelenskyy since Russia launched its war on Ukraine more than a year ago. Zelenskyy said it was “long and meaningful” in a Twitter post. (23/04/26)

G7 top diplomats spotlight unity on China and Russia amid talk of rift (The Japan Times)

The joint communique following the G7 foreign ministers meeting in Japan this week emphasizes the group’s unity in tackling geopolitical challenges with regards to China and Taiwan. (23/04/18)

China's planned changes to espionage law alarm foreign businesses (Nikkei Asia)

An update to China’s counterespionage will expand the scope of the law – so far limited to state secrets – to cover transfers of any information related to national security. A greater focus will also be put on cybersecurity. The law does not provide details on what includes national security and interests and has raised concerns among foreign individuals and companies in the country. (23/04/25)

China releases rules for generative AI like ChatGPT after Alibaba launch (CNBC)

Chinese regulators released draft rules for generative artificial intelligence products like ChatGPT earlier this month. The measures lay out the basic rules that these services have to follow, including the type of content they are allowed to generate. According to the rules, content generated by AI needs to reflect the core values of socialism and should not subvert state power. (23/04/11)