China’s Staats- und Parteichef Xi Jinping grüßt am 10. März 2020 Anwohner in Wuhan, die in ihrer Wohnung unter Quarantäne stehen. Quelle: picture alliance / Photoshot.
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Xi Jinping setzt nach Kritik aus dem Ausland auf Gegen-Narrativ zur Coronakrise

China Update 5/2020

METRIX

Vertreter Chinas leiten aktuell vier der insgesamt 15 UN-Organisationen: Darunter die Internationale Fernmeldeunion (ITU), die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO), die UN-Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO) sowie seit vergangenem Jahr auch die Welternährungsorganisation (FAO).

Thema der Woche

Xi Jinping setzt nach Kritik aus dem Ausland auf Gegen-Narrativ zur Coronakrise

Der erste Besuch von Partei- und Staatschef Xi Jinping in der besonders schwer vom Coronavirus heimgesuchten Metropole Wuhan signalisiert Beijings Zuversicht, das Schlimmste im Kampf gegen die Epidemie überstanden zu haben. „Jetzt ist er hier, um die Ernte einzufahren“ kommentierte ein Professor an der Beijinger Volksuniversität Xis Besuch. Xi ging in Wuhan auch auf Bemerkungen des Parteichefs von Wuhan ein. Dessen Aufruf zu Dankbarkeit gegenüber der KPC und Xi Jinping hatte insbesondere in den sozialen Medien für Empörung gesorgt. Um Kritik an Krisenmanagement und Selbstgefälligkeit der Parteiführung entgegenzuwirken, dankte Xi den Menschen von Wuhan für ihre Aufopferung.

Die ausländische Berichterstattung hatte sich anfangs auf Beijings unangemessenes Krisenmanagement fokussiert. Dieses Narrativ versucht die chinesische Führung nun zu widerlegen, indem sie ihre Fähigkeit herausstellt, schnell und rigoros gehandelt und auf diese Weise die Ausbreitung des Virus erfolgreich verhindert zu haben. Dieses Gegen-Narrativ erklärt Beijings Erfolg mit der Überlegenheit des Ein-Parteiensystems: Die chinesische Führung sei kompetent und vertrauenswürdig, während die Regierungsvertreter anderer Länder – insbesondere demokratischer Staaten - mit der Kontrolle der Epidemie kämpften. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums ging sogar so weit zu behaupten, es gebe keinen Beweis, dass das Virus aus China stamme, und zitierte dabei den in China renommierten Epidemiologen Zhong Nanshan.

Während in vielen anderen Teilen der Welt, darunter in den USA und Europa, die Zahlen weiter ansteigen, verzeichnete China zuletzt mit nur noch 19 nachgewiesenen Neuinfektionen den niedrigsten Anstieg seit Beginn der täglichen Berichte über die Epidemie vor sieben Wochen. Insgesamt sind bis 12. März in der Volksrepublik 3.173 Tote zu beklagen.

Um keine neuen Corona-Fälle aus anderen Ländern einzuschleppen, werden Reisende aus Italien, Südkorea oder anderen betroffenen Regionen derzeit in China unter Quarantäne gestellt. Vorsichtsmaßnahmen wie diese gegenüber Chinesen hatte Beijing noch vor wenigen Wochen heftig kritisiert. Damals hatten andere Staaten chinesische Besucher unter Quarantäne gestellt.

Xi Jinping verschob unterdessen einen für April geplanten Staatsbesuch in Japan, weil dort die Fallzahlen noch steigen. Es bleibt abzuwarten, ob größere Veranstaltungen – wie der EU-China-Gipfel, der für Ende März in Beijing geplant ist – stattfinden können. Bislang zögert China offensichtlich, das Treffen abzusagen oder auch nur zu verschieben.

China und die Welt

Die USA und China kämpfen um Vorsitz in der UN-Weltorganisation für geistiges Eigentum

Die Schärfe der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen den USA und China war vergangene Woche erneut sichtbar, als der chinesische Kandidat die Wahl zum Vorsitzenden der UN-Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) verlor. Hochrangige Regierungsvertreter der USA hatten gegen die bisherige stellvertretende Direktorin Wang Binying mobil gemacht, indem sie auf Beijings Wirtschaftsspionageaktivitäten und den mangelnden Schutz geistigen Eigentums in China verwiesen. Vergangenes Jahr waren die USA daran gescheitert, einen chinesischen Kandidaten davon abzuhalten, Generaldirektor der UN-Welternährungsorganisation zu werden. Seitdem werden vier der 15 Sonderorganisationen der Vereinten Nationen von Chinesen geleitet. Da in den kommenden zwei Jahren weitere acht Positionen frei werden, beobachten die USA jeden Zug Chinas sehr genau.

“Der Vorsitz in der WIPO ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sich die Angst vor den technologischen Möglichkeiten Chinas und das Misstrauen gegenüber dem chinesischen Parteistaat gegenseitig verstärken – oft mehr als es die jeweils vorliegenden Themen rechtfertigen,“ sagt MERICS Experte John Lee. Die WIPO verwaltet das internationale Regime zur Registrierung von Patenten und Markenzeichen. Anträge chinesischer Firmen haben in den letzten Jahren stark zugenommen – Huawei meldete 2018 mehr Patente an als jede andere Firma. Da auch die Welthandelsorganisation unter Druck steht, wird sich der Wettbewerb um den Einfluss in der WIPO weiter intensivieren.

Innenpolitik, Gesellschaft und Medien

Neue Internetregularien setzen auf die Verbreitung „positiver Energie“

Als politisch schädlich erachtete Informationen soll es künftig im chinesischen Internet nicht mehr geben. Stattdessen setzt die politische Führung auf „positive Energie“. All jene, die mit digitalen Inhalten zu tun haben, von Content-Schaffenden und Medienplattformen über die Internetnutzer bis zu den zuständigen Regierungsbehörden, sind dazu angehalten, ein „gesundes Internet“ zu schaffen. Die entsprechenden Vorschriften zur „Regulierung des Ökosystems von Online-Inhalten“ sind am 1. März in Kraft getreten. Verabschiedet hatte sie die chinesische Cyberspace-Verwaltung bereits im Dezember vergangenen Jahres.

Die Regularien unterscheiden zwischen drei Arten von Inhalten: illegalen, schädlichen und erwünschten. Zu den erwünschten Inhalten zählt, was die Ideologie und Errungenschaften des chinesischen Parteistaats vermittelt. Xi Jinping hatte die Verbreitung positiver Energie zur zentralen Aufgabe von Medien erklärt.

Katja Drinhausen: „In Zeiten von Corona heißt dies übersetzt: Keine Kritik am Krisenmanagement der Regierung, stattdessen den Blick auf den heldenhaften Einsatz der Ärzte und Krankenschwestern und die Erfolge der politischen Führung richten.“

Indem nicht mehr nur die Schaffung und Verbreitung von illegalen Informationen verboten werden, sondern verstärkt aus ihrer Sicht negative Inhalte ins Visier geraten, stärkt Chinas Führung einmal mehr die ideologische Kontrolle. Die Formulierungen – insbesondere mit Blick auf negative Inhalte - sind allerdings vage und lassen viel Interpretationsspielraum für lokale Behörden und Plattformen, die die neuen Regeln umsetzen sollen. Anfang März hatten Medienplattformen zahlreiche Nutzerkonten geschlossen, die unerlaubte Informationen zum Coronavirus verschickt hatten.

Chinas Umgang mit Corona verleiht Demonstranten in Hongkong neuen Auftrieb

Kaum ist die Sorge vor dem Coronavirus in Hongkong etwas abgeflaut, erhält die Protestbewegung neuen Auftrieb. Ende vergangenen Jahres hatten immer weniger Menschen an den Protestmärschen teilgenommen. Am vergangenen Sonntag gingen erstmals seit mehreren Wochen wieder hunderte Menschen in Hongkong auf die Straße. Sie gedachten des Studenten, der im November während der Proteste von einem Garagendach gestürzt war. Dabei kam es erneut zu Zwischenfällen mit der Polizei. Ein Journalist wurde brutal niedergeschlagen. Die Hongkonger Polizei entschuldigte sich später dafür.

Gesellschaftliche Gruppierungen, die sich bislang nicht politisch engagiert hatten, haben sich in den vergangenen Wochen wiederholt zu Wort gemeldet, darunter Ärzte, Schwestern und Bewohner von Stadtvierteln, die unter Quarantäne gestellt wurden. Sie hatten u.a. davor gewarnt, die Grenzen zum Festland während der Corona-Krise offen zu halten, weil die Krankenhäuser in Hongkong nicht auf einen solchen Ernstfall vorbereitet seien. Bislang hat Hongkong den Ausbruch des Coronavirus vergleichsweise glimpflich überstanden. Insgesamt meldete die ehemalige Kronkolonie 129 Infektionsfälle und zwei Tote (Stand 12. März).

Die Hongkonger Polizei überlegt nach einer Razzia offensichtlich erstmals, die 2002 in Kraft getretenen Anti-Terror-Gesetze anzuwenden, nachdem sie angeblich Demonstranten mit Materialien gefasst hatte, die zum Bau von Bomben geeignet schienen. In Hongkong wurde dies als neue Qualität des Beijinger Vorgehens gewertet.

Mareike Ohlberg, Analystin bei MERICS: „Der Umgang mit der Corona-Krise in der ehemaligen Kronkolonie hat der Bevölkerung einmal mehr vor Augen geführt, dass die Hongkonger Regierung nicht primär in ihrem Interesse handelt, sondern nach Beijings Vorgaben. Dies dürfte den Vertrauensverlust zwischen Gesellschaft und Regierung weiter verstärken“

Wirtschaft, Finanzen und Technologie

Chinas Märkte bleiben inmitten weltweiter Börsenturbulenzen stabil

Die panikartigen Reaktionen an den internationalen Börsen auf den rasanten Anstieg von Coronavirus-Erkrankungen haben sich an den chinesischen Märkten nicht niedergeschlagen. Dies dürfte u.a. mit den Bemühungen der chinesischen Regierung zusammenhängen, die Märkte durch Stimulus-Maßnahmen und strenge Kapitalkontrollen zu stützen. Am Montag fiel die Börse in Shanghai um lediglich drei Prozent, während Börsen in den USA, Deutschland und Frankreich um sieben bis acht Prozent nachgaben, die schlimmsten Einbrüche binnen eines Tages seit der Finanzkrise.

Auch der Wert des chinesischen Yuan blieb weitgehend stabil, die Währung erreichte ihren höchsten Stand seit Januar. Nach dem Besuch von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in Wuhan am Dienstag legte der Yuan sogar gegenüber dem US-Dollar zu. In China wurde das als Bestätigung der offiziellen Darstellung gesehen, dass das Land im Begriff ist, die Ausbreitung des Virus unter Kontrolle zu bringen. Sollten sich diese Signale verstärken, dürften sich die chinesischen Börsen in den kommenden Wochen weiter stabilisieren. Ein wichtiger Beleg dafür wäre die Aufhebung der Quarantäne für die gesamte Provinz Hubei. Erst dann dürfte auch in der Wirtschaft allmählich wieder Normalität einkehren.

Coronavirus bringt Chinas Wirtschaft ins Wanken

Neueste Wirtschaftsdaten zeigen, dass neben Chinas Industrie auch der Dienstleistungssektor stark betroffen ist – ein klares Zeichen für die umfassenden Auswirkungen der Coronavirus-Epidemie auf die Wirtschaft. In den vergangenen zwei Monaten verzeichnete China einen Exportrückgang um 17,2 Prozent und verzeichnet damit ein Defizit von insgesamt 7,1 Mrd. USD. Einen solchen Einbruch hatte es zuletzt in der globalen Finanzkrise 2007/2008 gegeben. Im Februar war zudem der Caixin/Markit Purchasing Manager’s Index für Dienstleistungen im Vergleich zum Vormonat von 51,8 auf 26,5 Punkte gefallen. Seine Talfahrt wird als Zeichen dafür gewertet, dass das Dienstleistungsgewerbe schrumpft. Es war das erste Mal seit 2005, dass der Index auf unter 50 Punkte fiel.

Die chinesische Regierung versucht, das Finanzsystem mit frischer Geldzufuhr zu stützen und hat weitere Maßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft ergriffen. So erhielten High-Tech-Unternehmen in Wuhan eine Sondergenehmigung für die Aussetzung von Quarantänerichtlinien, um den Betrieb fortsetzen zu können, und das Ministerium für Ökologie und Umwelt (MEE) hat mehrere Unternehmen von Umweltprüfungen vor Ort befreit. Lokale Regierungen haben außerdem Ziele für den Mindest-Stromverbrauch in Unternehmen gesetzt, um die Realwirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Berichten zufolge erfüllen jedoch einige Unternehmen diese Ziele, indem sie Maschinen in Fabriken einschalten, die mit unzureichend Personal besetzt sind oder gar nichts produzieren.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise werden vermutlich noch länger zu spüren sein und die Fähigkeit der Regierung, wirtschaftliche Aktivitäten wirksam zu steuern, auf die Probe stellen.

Im Profil

Wie der Hongkonger Buchhändler die chinesische Staatsbürgerschaft erhielt und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde

Zehn Jahre Gefängnis in China für einen Schweden, der aus Sicht der chinesischen Behörden kein Schwede mehr ist. Gui Minhai (桂敏海), einer von fünf 2015 erstmals verschwundenen Hongkonger Buchhändlern, war im Januar zum wiederholten Male in Gewahrsam genommen worden. Am 25. Februar verurteilte ihn das Mittlere Volksgericht Ningbo in der gleichnamigen ostchinesischen Stadt zu zehn Jahren Haft.

Erstmals war Gui 2015 in Thailand verschwunden. Die chinesische Regierung begründete die Verhaftung des Buchhändlers, der in Hongkong Bücher publizierte, die in China verboten sind, damit, dass er zwölf Jahre zuvor unter Alkoholeinfluss einen Verkehrsunfall verursacht habe. Dabei sei eine Frau ums Leben gekommen. 2017 wurde Gui wieder freigelassen, jedoch ohne Bekanntgabe seines Aufenthaltsorts. Während der Haft hatte Gui in einem – augenscheinlich erzwungenen - Videogeständnis seine Rückkehr nach China als freiwillig bezeichnet und sich die Einmischung schwedischer Institutionen verbeten.

Im Februar 2018 wurde der damals 54-Jährige von Polizisten gewaltsam aus einem Zug entführt, als er in Begleitung von zwei schwedischen Diplomaten unterwegs nach Beijing war, und erneut inhaftiert. Wenig später machte die chinesische Regierung bekannt, dass Gui in Haft die Rückerlangung der chinesischen Staatsbürgerschaft beantragt habe und gewillt sei, die schwedische aufzugeben. Die Anklage lautete: Weitergabe geheimer Informationen ans Ausland. Bei der Verurteilung im Februar dieses Jahres wurde dieselbe Begründung angeführt - ohne dass ein konkreter Anlass bekannt geworden wäre. Das schwedische Außenministerium teilte derweil mit, dass “die schwedische Staatsbürgerschaft nur nach Überprüfung durch die schwedische Amt für Migration aufgegeben werden kann.”

Der Fall zeigt, dass die chinesische Regierung sich weder scheut, gegen ausländische Staatsbürger auf chinesischem Territorium vorzugehen, noch sie zu repatriieren, um ihnen den Prozess machen zu können. Schweden ringt weiterhin mit dem intransparenten Vorgehen der chinesischen Behörden und setzt sich für Gui Minhai ein. Die Verleihung eines Preises an Gui Minhai im November vergangenen Jahres hatte die Beziehungen zwischen Beijing und Stockholm in eine tiefe Krise gestürzt.