Firmen in China nehmen nach einer verlängerten Neujahrspause die Produktion wieder auf. Die Angst vor der Verbreitung des Corona-Virus CoViD-2019 führte zu Schließungen von Fabriken. Das Bild zeigt Angestellte der Firma Skyworth in Guangzhou am 10. Februar 2020. Bildquelle: dpa picture alliance / Photoshot.
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Dominoeffekte des Coronavirus für die Wirtschaft

China Update 3/2020

METRIX

Die chinesische Zentralbank hat Anfang Februar 1,7 Billionen CNY (umgerechnet rund 222 Milliarden EUR investiert, um im Zuge der Corona-Krise verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen und die Wirtschaft zu stützen. Dies ist der höchste Wert, den die Zentralbank jemals innerhalb einer Woche freigegeben hat.

Thema der Woche

Dominoeffekte des Coronavirus für die Wirtschaft

Europäische Unternehmen bereiten sich derzeit auf die Dominoeffekte der Ausbreitung des Coronavirus und der Unterbrechung der chinesischen Lieferketten vor. In China war die Produktion nach dem Ende der Neujahrsferien in dieser Woche nur langsam wieder in Gang gekommen. Für zahlreiche europäische Hersteller ist ungewiss, ob wichtige chinesische Komponenten geliefert werden können. Einige Unternehmen dürften möglicherweise vorübergehend gezwungen sein, Fabriken in Europa zu schließen, wenn chinesische Partner die Produktion nicht bald wieder aufnehmen. Der italienische Autohersteller „Fiat“ erwägt, die Arbeit an einem seiner vier europäischen Standorte auszusetzen.

Während vergangene Woche noch damit gerechnet wurde, dass die meisten Fabriken am 10. Februar wieder öffnen, hat die Fertigungsindustrie des Landes aktuell Mühe, das frühere Niveau zu erreichen. Obwohl einige Schwergewichte der Industrie von der Regierung grünes Licht für die Wiederaufnahme der Produktion erhielten, sind zahlreiche Produktionsanlagen kaum betriebsfähig. So sollen etwa nur zehn Prozent der Mitarbeiter des weltweit größten Auftragsherstellers Foxconn an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt sein. Das Unternehmen wird deshalb seine Produktion vermutlich für mindestens eine weitere Woche aussetzen. Chinesischen Medien zufolge könnte es noch bis Anfang März dauern, bis das Unternehmen den normalen Betrieb wieder aufnimmt. Internationale Automobilhersteller wie Mercedes-Benz und Ford haben ihre Anlagen in China teilweise wieder geöffnet, zunächst jedoch nur ausgewählte Teile der Produktion in Betrieb genommen. Ein zentrales Anliegen der Regierung ist, das erhöhte Insolvenzrisiko für kleine und mittlere Unternehmen mit nur begrenzter Liquidität zu mindern.

Noch ist unklar, wie schwerwiegend die Folgen der Unterbrechung chinesischer Lieferketten für Unternehmen in Europa und anderen Teilen der Welt sein werden. Die chinesische Regierung möchte Unternehmen und Fabriken dazu bewegen, ihre Arbeit wiederaufzunehmen, hat aber auf viele Faktoren keinen Einfluss. Etwa darauf, wann die Angestellten angesichts der Reisebeschränkungen, Quarantänevorkehrungen und gesundheitlichen Bedenken in der Lage sind, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren. Diese Unsicherheit hat weitreichende Folgen und betrifft nicht nur die Lieferketten. Bis wieder Normalität einkehrt, dürfte es noch eine Weile dauern.

Da die Fabriken geschlossen sind, die Menschen zu Hause bleiben und wenig konsumieren, leidet die gesamte Wirtschaft. Die Aktienmärkte und die chinesische Währung gingen im Januar auf Talfahrt, erholten sich aber, nachdem die chinesische Regierung Geld in die Wirtschaft gepumpt hatte. Die chinesische Zentralbank (People’s Bank of China, PBOC) stellte seit Anfang Januar eine Rekordsumme an Liquidität zur Verfügung. So wurden Anfang Feburar weitere Finanzspritzen in Höhe von 1,7 Billionen CNY angekündigt.

Chinas Nationale Reform- und Entwicklungskommission (NDRC) kündigte an, die Ausgabe von Anleihen zu vereinfachen, um für Unternehmen den Zugang zu Darlehen zu verbessern. In einem Interview sagte der stellvertretende Vorsitzende der NDRC Zeng Gang, dass eine antizyklische Geld- und Fiskalpolitik die Wirtschaft stützen solle. Dazu müssen und werden sehr wahrscheinlich weitere Stimulus-Maßnahmen ergriffen werden. Beijings Handlungsspielraum ist jedoch begrenzt, da das staatliche Defizit wächst und die Inflation steigt. Die Reserveanforderungen für Banken zu lockern, könnte diese auch finanziellen Risiken aussetzen.

China und die Welt

Symbolischer Besuch: Kambodschas Premier trifft Xi inmitten der Corona-Krise

Die chinesische Führung dürfte über Hun Sens Besuch und die damit verbundene demonstrative Geste hoch erfreut gewesen sein. Nachdem zahlreiche Länder ihre Flugverbindungen nach China wegen der Ausbreitung des Corona-Virus vorübergehend eingestellt hatten und ihre Landsleute ausflogen, traf der kambodschanische Premier als erster ausländischer Staatsgast seit Ausbruch des Corona-Virus am 5. Februar in Beijing ein. Anlässlich des Besuches zeigte sich auch Partei- und Staatschef Xi Jinping, der zuvor acht Tage lang nicht in der Öffentlichkeit erschienen war. Er pries Hun Sen als guten Freund in der Not. Der wiederum kritisierte jene Länder, die panisch auf den Ausbruch reagiert hätten.

Kambodscha unterstrich damit einmal mehr die guten diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern und die eigene Abhängigkeit von China. Die Führung in Phnom Penh trat bereits mehrfach als Fürsprecher Beijings auf – nicht zuletzt im Kreis der ASEAN-Staaten, wo es aus Sicht Beijings zu verhindern galt, dass sich die Kritiker an Chinas Vorgehen im Südchinesischen Meer zu Wort meldeten.

Beobachter kritisierten unterdessen, dass einige südostasiatische Länder wie Kambodscha, Thailand, Myanmar und die Philippinen – aus Sorge vor Beijings Reaktionen – nicht genug getan hätten, um ihre Bevölkerung vor der Ausbreitung des Virus zu schützen. Die chinesische Führung hatte ihrerseits Reisegruppen die Ausreise in diese und andere Länder im Vorfeld des chinesischen Frühlingsfestes untersagt, um eine Ausbreitung zu verhindern. 

Bislang sind die Zahlen der Corona-Infektionen in Südostasien relativ gering. In Myanmar ist bislang kein Fall aufgetreten, in Kambodscha wurde ein Fall bestätigt, auf den Philippinen drei Fälle und in Thailand 33 Fälle (Stand 12. Februar).

MERICS Expertensicht: “Schon vor dem Ausbruch des Coronavirus war Kambodscha wegen illegalen chinesischen Glücksspiels und Immobilienspekulationen unter Druck geraten. Hun Sens Besuch könnte zusätzlich von der Notwendigkeit ablenken, dass Kambodscha stärker reguliert – insbesondere das Gesundheitswesen.” (Matt Ferchen, Forschungsleiter "Global China" bei MERICS)

Corona-Krise entfacht Debatte über Taiwans Ausschluss aus der Weltgesundheitsorganisation

Die Ausbreitung des Coronavirus hat Diskussionen über Taiwans Mitgliedschaft in internationalen Organisationen neu entfacht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und weitere internationale Organisationen verweigern Taiwan auf Druck Beijings die Mitgliedschaft („Ein-China-Prinzip“). Der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen in Genf, Andrew Bremberg, forderte nun, dass es der WHO erlaubt sein solle, in der aktuellen Coronavirus-Krise direkt mit den taiwanischen Gesundheitsbehörden zusammenzuarbeiten.

Da Taiwan kein WHO-Mitglied ist, hat es keinen Zugang zu Informationen aus erster Hand und ist von China als Vermittler abhängig. Taiwan warf Beijing vergangene Woche vor, der WHO falsche Informationen über die Ausbreitung des Coronavirus auf der Insel übermittelt zu haben. China hingegen spricht von einer reibungslosen Kommunikation, die im Sinne des “Wohlbefindens der Landsleute” sei, und beschuldigt Taiwan, das Virus als Vorwand für Unabhängigkeitsbestrebungen zu nutzen. Die Auseinandersetzung zeigt eine eklatante Schwachstelle im internationalen Gesundheitswesen und bei der Prävention von Epidemien.

Innenpolitik, Gesellschaft und Medien

Tod des Whistleblower-Arztes Li Wenliang sorgt weltweit für Trauer und Proteste

Der Tod des Arztes Li Wenliang aus Wuhan hat in sozialen Medien aber auch weit darüber hinaus für Protest gesorgt. Der 34-jährige hatte bereits Ende Dezember als einer der ersten vor dem Ausbruch eines SARS-ähnlichen Virus gewarnt. Die Polizeibehörden hatten ihm daraufhin eine Verwarnung wegen der Verbreitung von Gerüchten erteilt.

Li hatte sich selbst mit dem Coronavirus infiziert, half dennoch weiter bei der Behandlung von Lungenkranken. Er starb in der Nacht auf den 7. Februar. Die Nachricht verbreitete sich erst in den sozialen Medien, bevor parteistaatliche Medien über seinen Tod berichteten. Chinesische Netizens gedachten dem Helden von Wuhan und machten ihrem Ärger Luft, dass die Regierung durch die Unterdrückung von Informationen wertvolle Zeit bei der Bekämpfung des Virus verspielt hätte. Viele nutzten den Anlass, um freie Meinungsäußerung einzufordern, bevor die Zensurbehörden eingriffen.

Menschen legten Blumen vor dem Krankenhaus in Wuhan nieder, in dem Li gestorben war. In einem Online-Aufruf wurde in der Todesnacht dazu aufgefordert, das Licht auszuschalten, aus dem Fenster zu leuchten und zu pfeifen, um an Li zu erinnern. Zehn Professoren aus Wuhan sowie eine Gruppe von Professoren der Beijing University veröffentlichten offene Briefe. Darin forderten sie u.a. von der Regierung, die polizeiliche Abmahnung Lis zurückzunehmen. Die Beijinger Professoren stellten nach dem Vorbild der Hongkonger Demonstranten fünf Forderungen auf, darunter die Umsetzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 35 der chinesischen Verfassung und das Ende der Zensur der sozialen Medien. Staatsmedien diskreditierten solche Aktionen als von feindlichen ausländischen Kräften angestiftet. 

Der chinesischen Führung dürfte dennoch bewusst sein, welches Protestpotential der Fall birgt und hat die Schuld klar den lokalen Behörden zugewiesen. So entsandte die Nationale Aufsichtskommission ein Untersuchungsteam nach Wuhan, um die Bestrafung von Li für das Whistleblowing aufzuklären. Der Familie von Li wurde unterdessen eine Entschädigung in Höhe von 785.020 Yuan (knapp 103.000 EUR) in Aussicht gestellt. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua bezeichnete den offiziellen Umgang mit Li Wenliang als einen Vorfall, der die Gesellschaft zur Reflexion veranlassen sollte, nicht etwa die Regierung.

Mit Big Data und Künstlicher Intelligenz gegen das Coronavirus

Chinesische Technologie-Unternehmen entwickeln technologische Lösungen, um sich im Kampf gegen das Coronavirus einzubringen. So führte Tech-Riese Baidu beispielsweise ein System ein, das Künstliche Intelligenz (KI) zur Messung von Körpertemperaturen nutzt. Ein Infrarotsensor erkennt die Stirnen von sich bewegenden Passanten und misst deren Temperatur auf 0,05 Grad Celsius genau. Indessen hat das Shanghaier Unternehmen Lizhi Technology einen Reinigungsroboter entwickelt, der rund drei Stunden lang pausenlos Desinfektionsmittel auf einer selbstnavigierenden Route in Quarantänestationen sprüht.

Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete am 9. Februar, dass das Central Network Office die Nutzung personenbezogener Daten zur „Vermeidung von Epidemien“ erlaubt habe. Technologie-Unternehmen und lokalen Behörden wurde Zugang zu sensitiven Personendaten gestattet, mit der Auflage, dass diese nach der Präventionsmaßnahme gelöscht werden müssten. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob Big Data und KI den Behörden helfen werden, Präventionsmaßnahmen besser umzusetzen, oder sie sogar bewirken, dass ineffizientes Behördenverhalten in Reaktion auf Epidemien aufgedeckt werden.

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