Covid testing in Chaoyang
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MERICS China Essentials
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Covid-Lockdowns in China + Chinesisch-russische Zusammenarbeit im Weltraum + Globale Sicherheitsinitiative

TOP THEMA

Corona-Lage in China bedroht die Weltwirtschaft

Der seit Wochen andauernde Lockdown in Shanghai hat die Coronalage in China erneut ins Rampenlicht gerückt. Die Absperrung des bedeutenden internationalen Wirtschaftszentrums mit dem weltgrößten Hafen, Sitz führender chinesischer Chip-Unternehmen, führt zu Versorgungsproblemen in China und auf der ganzen Welt. Der Plan, Arbeiter in Covid-freie "Blasen" zu stecken, um die Geschäfte in der Region Shanghai am Laufen zu halten, hat offenbar nicht funktioniert. 

Wenn sich das Virus in China weiter ausbreitet und die Regierung in Beijing an ihrer sogenannten dynamischen Null-Covid-Strategie festhält, werden weitere chinesische Städte Lockdowns verhängen müssen, wodurch die Engpässe in den globalen Lieferketten sich verschärfen könnten. 
Chinas Wirtschaft steht massiv unter Druck. Da Millionen von Menschen ihr Zuhause nicht verlassen durften, stieg die Arbeitslosigkeit im März auf 5,8 Prozent, den höchsten Stand seit Mai 2020. Die Einzelhandelsumsätze sanken um 3,5 Prozent, der erste Rückgang seit Juli 2020. 

Probleme in der Produktion, die Zurückhaltung der Konsumenten und das langsamere Lohnwachstum könnten Beijings Wachstumsziel von 5,5-Prozent für 2022 gefährden. Besorgnis um die Entwicklung von Chinas Wirtschaft und Beijings stillschweigende Unterstützung Russlands im Krieg gegen die Ukraine trugen dazu bei, dass ausländische Investoren seit Jahresbeginn chinesische Wertpapiere in Rekordhöhe verkauften. Am 25. April fiel der chinesische Leitindex CSI 300 um 4,9 Prozent und verzeichnete damit den stärksten Tageseinbruch seit Anfang 2020.

Die Lockdown-Maßnahmen in Shanghai sorgen in der Bevölkerung für großen Unmut. Im Internet kritisierten Bewohner der Stadt scharf die mangelhafte Kommunikation der Regierung, logistische Probleme bei der Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten sowie die Quarantänebedingungen. 

Für Aufsehen sorgte ein Video mit dem Titel "Voices of April" (四月之声), eine Montage aus Sprachnachrichten über die Folgen des Lockdowns in Shanghai. Zwar schritt die Zensur schnell ein und entfernte den Beitrag aus dem Netz, konnte aber nicht verhindern, dass immer neue Kopien veröffentlicht wurden.

Aufgrund der niedrigen Impfquote unter älteren Menschen in China und der hohen Sterblichkeitsrate während der jüngsten Omikron-Welle in Hongkong hat Beijing den Druck auf die Kommunen erhöht, an der sogenannten dynamischen Null-Covid-Strategie festzuhalten. Lokale Behörden sind gezwungen, beim geringsten Anzeichen eines Ausbruchs strenge Maßnahmen zu ergreifen. Beijing etwa reagierte am 26. April nach 33 neu gemeldeten Fällen mit Ausgangsbeschränkungen und Massentests. In einzelnen Stadt- und Geschäftsvierteln kam es zu Panikkäufen. 

MERICS-Analyse: "Während einige Teile der Welt sämtliche Covid-Beschränkungen aufgehoben haben, erlebt China den schlimmsten Ausbruch seit Beginn der Pandemie. Der Kontext ist ein anderer als noch vor zwei Jahren, als das Wirtschaftswachstum weltweit zurückging", sagt MERICS-Expertin Aya Adachi. "Viele Volkswirtschaften, die auf chinesische Importe angewiesen sind, gehen zwar zur Normalität nach der Pandemie über. China dürfte sie jedoch vor große Probleme stellen, da sich Lockdowns in immer mehr chinesischen Städten massiv auf die globalen Lieferketten auswirken könnten."

Mehr zum Thema: Der neue Bericht des European Think-tank Network on China (ETNC) untersucht „Europas Abhängigkeit von China: Zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit“. Mit herausgegeben wurde der Bericht von MERICS-Expertin Francesca Ghiretti. Barbara Pongratz, Bernhard Bartsch und Vincent Brussee haben das Kapitel über Deutschland beigetragen.

Medienberichte und Quellen:

METRIX

300 Millionen Tonnen

Das ist die 2022 angestrebte Erhöhung der neuen Produktionskapazitäten für Kohle. Kurz nach der Ankündigung durch Ministerpräsident Li Keqiang bekräftigte dies auch Chinas Nationale Energieagentur: „Die Kohlekraft wird noch lange Zeit eine wichtige Rolle bei der Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit spielen." Die Aussagen bekräftigen einen sich seit Wochen andeutenden politischen Kurs: nach der russischen Invasion in der Ukraine räumt die chinesische Führung der Energiesicherheit erhöhte Priorität ein.

THEMEN

China und Russland verstärken Zusammenarbeit im Weltraum

Die Fakten: Russland und China arbeiten nach Angaben des staatlichen Fernsehsenders CGTN an einem Programm zur Zusammenarbeit im Weltraum für die Jahre 2023 bis 2028. Kernstück ist eine gemeinsame Mondbasis, die ab 2030 Astronauten beherbergen soll. Eine gemeinsame Mission der chinesischen Mondrobotermission Chang'e 7 und des russischen Mondorbiters Luna-26 im Jahr 2025 sollen dafür die Grundlage schaffen. Russland könnte auch Zugang zu Chinas Raumstation Tiangong erhalten, die noch in diesem Jahr fertig gestellt werden soll. Im Februar unterzeichneten beide Länder ein Abkommen zur weiteren Integration ihrer Satellitennavigationssysteme Glonass und BeiDou.    

Der Blick nach vorn: Die Ankündigung einer chinesisch-russischen Zusammenarbeit im Weltraum wäre ein Bruch mit Beijings nach offiziellen Angaben neutraler Haltung zur russischen Invasion in der Ukraine. Eine solcher Schritt würde auch eine europäische Beteiligung an Tiangong, BeiDou oder anderen Raumfahrtprojekten unmöglich machen. Die in diesem Jahr geplante Absichtserklärung über eine gemeinsame Mondbasis wird ein deutliches Zeichen sein, wie sich die chinesisch-russische Annäherung im Weltraum weiter gestalten wird.

MERICS-Analyse: "Da der Wettbewerb mit den USA ein Hauptmotiv für Chinas ehrgeiziges Raumfahrtprogramm ist, wird China die Zusammenarbeit mit Russland langfristig vertiefen", sagt MERICS-Experte Jeroen Groenewegen-Lau. "Um nicht gegen Sanktionen zu verstoßen oder europäische und andere Partner zu verärgern, wird China versuchen Details der Pläne mit Russland geheim zu halten. Europa wird sich auf die zunehmende Politisierung des Weltraums einstellen müssen."

Medienberichte und Quellen: 

Globale Sicherheitsinitiative: Beijing bekräftigt seine Russlandpolitik und das Ziel einer neuen Weltordnung

Die Fakten: Chinas Präsident Xi Jinping hat auf dem diesjährigen Boao Forum für Asien Chinas Globale Sicherheitsinitiative (GSI) vorgestellt. Trotz des ambitionierten Namens enthält die Initiative keine neuen konkreten Vorschläge, sondern bekräftigt vor allem bekannte chinesische Positionen. China strebt demnach "eine ausgewogene, wirksame und nachhaltige Sicherheitsarchitektur“ an, die „legitime Sicherheitsanliegen aller Länder" beachtet – eine Formulierung, die Beijing auch in Bezug auf Russlands Forderungen gegenüber der Ukraine verwendet. Das Bekenntnis zur chinesisch-russischen Partnerschaft bekräftigte Xi, indem er erstmals das Kreml-Konzept der "unteilbaren Sicherheit" aufgriff.

In Anspielung auf wirtschaftliche Auswirkungen westlicher Sanktionen gegen Russland hob Beijing die Wahrung von Stabilität als zentrales Ziel der GSI hervor. Diese sei nötig für Entwicklung und Wirtschaftswachstum. China will sich als vorbildlicher Friedensakteur und Förderer von Entwicklung präsentieren und wirbt damit vor allem um die Unterstützung der Länder des globalen Südens.

Der Blick nach vorn: Die GSI erlaubt besonders mit Blick auf die derzeitigen Diskussionen über die Zukunft des Multilateralismus Rückschlüsse auf Chinas Vorstellungen eines eigenen Weges. Vor der Ankündigung unterzeichnete China ein Sicherheitsabkommen mit den Salomonen – ein Inselstaat in Ozeanien, den es auch mit Entwicklungshilfe unterstützt. Das bisher unveröffentlichte Abkommen würde der chinesischen Marine weiterreichende Einsätze zum Schutz von Großprojekten in Übersee erlauben, da ihre Schiffe auf den Salomonen zu ankern und Vorräte aufzufüllen. Die Partnerschaft sorgte für erhebliche Kritik der USA und Australiens. Auch EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen sagte kurz nach Verkündung der GSI: Versuche, die regelbasierte internationale Ordnung zu untergraben, seien abzuwehren. 

MERICS-Analyse: „Beijings Initiative bestätigt, dass es seine Agenda für die Neugestaltung der globalen Ordnung vorantreibt und versucht, seine eigenen Interessen als mit denen der Entwicklungsländer übereinstimmend darzustellen. Obwohl sich die Aufmerksamkeit der EU auf den russischen Krieg in der Ukraine richtet, sollte sie ihr Engagement mit den Partnern aus den Entwicklungsländern nicht vernachlässigen und ihre Global-Gateway-Initiative so gestalten, dass sie deren Bedürfnissen gerecht wird,“ sagt MERICS-Experte Grzegorz Stec.

Medienberichte und Quellen:

IM PROFIL

Chen Min'er: Vom Propaganda-Fachmann zum Politikstar

Chen Min'er könnte auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) Ende des Jahres in die Riege der sieben mächtigsten Personen Chinas aufsteigen. Chen, derzeit Parteisekretär von Chongqing und Politbüro-Mitglied, ist einer der Anwärter auf einen Sitz im Ständigen Ausschuss des Politbüros. Für dessen Vorsitzenden Xi Jinping arbeitete er bereits vor 20 Jahren. Xi griff in seiner Zeit als Parteisekretär von Zhejiang auf das Fachwissen und die Erfahrung des damaligen Propagandachefs der Provinz zurück. Chen half Xi dabei, unter einem Pseudonym Kolumnen in der zeitweise von ihm geleiteten Parteizeitung Zhejiang Daily zu veröffentlichen.

Von Beginn seiner Karriere an setzte Chen auf seine zwei großen Stärken: Partei-Ideologie und politische Theorie. Nach einer Tätigkeit am Shaoxing Teacher's College, wo er für Propagandaarbeit zuständig war, unterrichtete er an der Parteischule der Stadt und stieg schließlich zum Propagandachef seiner Heimatprovinz Zhejiang auf. In dieser Funktion zählte Chen zu Xis loyalsten Mitarbeitern. Jahrelang wurde Chen als möglicher Nachfolger Xis gehandelt. Seit bekannt ist, dass Xi eine dritte Amtszeit anstrebt, ist sein Aufstieg in die mächtigsten Ämter Chinas allerdings in der Schwebe.

Angespornt durch das von Xi propagierte Ziel, die Armut auf dem Land zu beseitigen, initiierte Chen als Parteisekretär von Guizhou ab 2013 Maßnahmen, um die Einkommen der Bauern zu verbessern. Seine politische Karriere nahm 2017 weiter an Fahrt auf, als er den wegen Korruptionsvorwürfen abgesetzten Parteichef von Chongqing, Sun Zhengcai, ablöste. Chen mangelt es zwar an Erfahrung in der Zentralregierung, er hat sich aber als loyaler und zuverlässiger Kader erwiesen. Mit seiner Erfahrung in Guizhou und Chongqing erfüllt Chen die Voraussetzungen für eine weitere Beförderung.  

MERICS China Digest

Regierung untersagt chinesische Übernahme von Beatmungsgeräte-Hersteller (Handelsblatt)

Die Bundesregierung hat den Kauf von Heyer Medical, einem deutschen Hersteller von Beatmungsgeräten, durch die chinesische Aeonmed Group gestoppt. Als Grund führte sie eine mögliche Gefährdung der nationalen Sicherheit an. (22/04/27)

China wertet Berufsausbildung auf (Sixth Tone)

Ein am 1. Mai in Kraft tretendes Gesetz wird die Unterscheidung zwischen weiterführenden Schulen und Berufsschulen abschaffen. Zudem sollen weiterführende Schulen künftig auch Berufsausbildungskurse anbieten. Die chinesische Regierung will so das Ansehen der Berufsausbildung verbessern. (22/04/26)

China unterzeichnet UN-Abkommen gegen Zwangsarbeit (F.A.Z.) 

Beijing hat zwei Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation gegen Zwangsarbeit ratifiziert. Die Entscheidung wurde kurz vor dem geplanten Besuch der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet in Xinjiang bekannt, der im nächsten Monat geplant ist. (22/04/21)

Auslandskorrespondentenclub in Hongkong stellt Verleihung von Menschenrechtspreis ein (Reuters)

Der Club der Auslandskorrespondenten in Hongkong wird die Vergabe seines renommierten Menschenrechtspreises einstellen. Der Präsident des Clubs erklärte, man wolle vermeiden, “unbeabsichtigt” gegen Gesetze zu verstoßen. (22/04/25)