Xi Jinping walks with representatives from American business, strategic and academic communities at the Great Hall of the People in Beijing
MERICS Briefs
MERICS China Essentials
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Gemischte wirtschaftliche Signale + Gelockerte Regeln für Datenexport + Wang Yi in Australien und Neuseeland

Titelthema

Beijing predigt wirtschaftliche Öffnung und praktiziert sicherheitsorientierte Schließung

Die chinesische Regierung wirbt einmal mehr um ausländische Investitionen und hält gleichzeitig an ihrer sicherheitsorientierten, auf ausländische Lieferanten fokussierten Wirtschaftsagenda fest. Premierminister Li Qiang nutzte diese Woche das jährliche China Development Forum, um Investoren aus aller Welt zu umwerben. Dabei hob er Reformen in der Wirtschaftspolitik, der Stadtentwicklung, der industriellen Entwicklung und der Umstellung der Wirtschaft auf Nachhaltigkeit hervor. Seine Rede folgte unmittelbar auf die Veröffentlichung eines 24-Punkte-Plans des Staatsrats zur Unterstützung ausländischer Unternehmen (dem zweiten innerhalb von nur sieben Monaten) sowie auf die leichte Lockerung der Regeln für grenzüberschreitende Datenübertragungen durch die chinesische Cybersicherheitsbehörde (siehe Artikel über Datenexporte unten).

Überschattet wurden diese unternehmensfreundlichen Ankündigungen jedoch durch einen Bericht der Financial Times, wonach Beijing auf Regierungscomputern Chips von Intel und AMD sowie das Microsoft-Betriebssystem Windows ersetzt. Dies verdeutlicht einmal mehr Beijings Ziel, ausländische Technologie durch inländische Alternativen zu ersetzen, um so die nationale Sicherheit und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu stärken. Selbst ein Treffen mit US-amerikanischen Wirtschaftsvertretern am Mittwoch, in dem Xi das Potenzial der chinesischen Wirtschaft unterstreichen wollte, dürfte für Investoren nur ein schwacher Hoffnungsschimmer gewesen sein – am wenigsten für den anwesenden CEO von Qualcomm, der mit US-Exportkontrollen für Mikrochips und nun auch mit Chinas Ausmusterung einiger US-Chips zu kämpfen hat.

Beijing sendet gemischte Signale: Einerseits zeigt die Regierung sich offen für Reformen zur Förderung ausländischer Investitionen, andererseits stellt sie die nationale Sicherheit über die wirtschaftliche Liberalisierung. Dies ist einer der Gründe, warum der erste 24-Punkte-Plan der Regierung vom August 2023 den Abwärtstrend bei ausländischen Direktinvestitionen nicht aufhalten konnte – und warum die neuen Maßnahmen, zu denen einmal mehr die schon oft versprochenen Reformen zur Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen gehören, wahrscheinlich nicht erfolgreicher sein werden. Ausländische Investoren müssen noch davon überzeugt werden, dass sich ein längerfristiges Engagement in China lohnt. Das passiert nur, wenn die Regierung die vielen Herausforderungen löst, die europäische Unternehmen identifiziert haben, und eine tiefgreifende Strukturreform des Wirtschaftsmodells vornimmt, um den Verbrauchern mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen. 

MERICS-Analyse: „Wenn China den roten Teppich ausrollt, hat das nicht mehr denselben Effekt wie früher. Ausländische Investoren können sehen, wohin der Weg führt: zu einer Wirtschaft im Abschwung und einer politischen Elite, die nicht willens oder in der Lage ist, den Kurs zu korrigieren “ sagt Jacob Gunter, Lead Analyst bei MERICS. „Xi und seine Kollegen stellen die nationale Sicherheit über umfassende Reformen, die zur Wiederbelebung der angeschlagenen Wirtschaft erforderlich wären. Ihre kleinteiligen Korrekturen werden wenig dazu beitragen, die Wirtschaft oder das Vertrauen der Investoren zu stärken.“

Medienberichte und Quellen:

METRIX

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89:0

Dies ist die Zahl der Mitglieder des Hongkonger Legislativrats, die am 19. März für bzw. gegen die neue Verordnung zum Schutz der nationalen Sicherheit der Stadt gestimmt haben. Die Einstimmigkeit der Gesetzgeber ist bemerkenswert, da das neue Gesetz noch strenger ist als das 2020 beschlossene Hongkonger Sicherheitsgesetz. Die neuen Regeln enthalten teils vage definierte Straftatbestände von Hochverrat und Unruhestiftung bis hin zur „Aufstachelung zum Ungehorsam“. Sie konstatieren, dass Verstöße sowohl außerhalb als auch innerhalb Hongkongs begangen werden können, legen einen Schwerpunkt auf die Eindämmung „externer Kräfte“, schränken die Verfahrensrechte von Angeklagten ein und orientieren Hongkong grundsätzlich mehr an der Ideologie der Kommunistischen Partei Chinas.

(Quelle: https://www.legco.gov.hk/yr2024/chinese/counmtg/voting/v20240319.pdf)

Wenn Sie mehr über das neue Sicherheitsgesetz erfahren möchten, klicken Sie hier, um den Kommentar der MERICS-Expertin Katja Drinhausen zu lesen.

Themen

China lockert seine Regelungen für den Datenexport

Die Fakten: Angesichts der Sorgen der Wirtschaft und des niedrigsten Stands ausländischer Investitionen seit Jahrzehnten hat China die Vorschriften für den Datentransfer ins Ausland deutlich gelockert. Am 22. März erleichterte die chinesische Cyberspace-Verwaltung (CAC) die Beschränkungen beim Export sowohl von nicht-sensiblen Informationen als auch von personenbezogenen Daten, nachdem europäische Unternehmen und EU-Beamte dafür geworben hatten. Unternehmen waren von vagen Definitionen und niedrigen Schwellen für Sicherheitsüberprüfungen frustriert, die Fragezeichen bei der Compliance aufwarfen und Geschäftsabwicklungen behinderten.

Der Blick nach vorn: Unternehmen können jetzt ohne die bisher vorgeschriebene Überprüfung personenbezoger Daten von bis zu einer Millionen Personen exportieren. Auch sind Datenexporte, die für den normalen Geschäftsbetrieb notwendig sind (z. B. im Personalwesen oder elektronischen Handel) ausgenommen. Darüber hinaus können im Rahmen von Handel, Transport, Wissenschaft, Produktion und Marketing gesammelte Informationen das Land ohne vorherige Genehmigung verlassen, wenn diese keine personenbezogenen oder "wichtigen" Daten enthalten. Sofern die Aufsichtsbehörden Daten nicht ausdrücklich als “wichtig” deklariert haben, können Unternehmen sie exportieren, ohne eine Sicherheitsüberprüfung zu beantragen. Die Behörden sind dabei, die Definition von „wichtig“ und "Kerndaten" klarer zu formulieren, um der Wirtschaft auch hier entgegenzukommen.

Obwohl die Regierung behaupten könnte, mit den neuen Regeln wirtschaftlichen Interessen Vorrang vor Sicherheitsinteressen zu geben, kann die sicherheitsorientierte Politik von Präsident Xi Jinping die Umsetzung immer noch durchkreuzen. Europäische Unternehmen sollten sich weiterhin dafür einsetzen, dass nicht sicherheitsorientierte Beamte die Wirtschaftspolitik bestimmen. 

MERICS Analyse: „Dieser Schritt ist eine wichtige und willkommene Nachricht für ausländische Unternehmen", sagt Rebecca Arcesati, Lead Analyst am MERICS. „Die US-Regierung überprüft derzeit die Sammlung sensibler Daten durch chinesische Unternehmen – von den persönlichen Informationen der TikTok-Nutzer bis hin zu den Daten, die von Hafenkränen und intelligenten Autos gesammelt werden. Diese Beispiele könnte Beijing anführen, um zu argumentieren, dass China stattdessen wirtschaftliche Interessen über die Sicherheit stellt. Aber in Xi Jinpings China steht die Sicherheit an erster Stelle, so dass es nicht selbstverständlich ist, dass die neuen Regeln reibungslos umgesetzt werden.“

Medienberichte und Quellen:

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Etwas Tauwetter: Wang Yis Neustart der Beziehungen zu Australien und Neuseeland

Die Fakten: Um die Beziehungen mit Australien und Neuseeland zu verbessern, stattete Wang Yi, Chinas Außenminister und Spitzendiplomat der Kommunistischen Partei Chinas, den beiden Ländern den ersten hochrangigen Besuch seit acht Jahren ab. Vom 17. bis 21. März traf er seine Amtskollegen sowie die Premierminister Luxon und Albanese. Wenngleich es beim Wiederaufbau der Wirtschaftsbeziehungen Fortschritte zu geben scheint, bleiben geopolitische Differenzen und Sicherheitsbedenken bestehen.

Der Blick nach vorn: Der Besuch von Wang ist Teil eines Neustarts, der mit dem Amtsantritt der derzeitigen australischen Regierung Mitte 2022 begonnen. China hat die hohen Einfuhrzölle auf Gerste und Kohle aufgehoben, die nach den Antidumpinguntersuchungen der Vorgängerregierung und ihrer härteren China-Politik eingeführt worden waren. Dadurch wurde Australien Ende letzten Jahres wieder zu Chinas wichtigstem Kohlelieferanten. Die Gespräche legten den Grundstein für einen Besuch von Premierminister Li Qiang im Laufe des Jahres und führten zur Aufhebung der chinesischen Einfuhrbeschränkungen für Wein und Hummer. China hat diese Woche erklärt, dass es die drei Jahre alten Zölle auf Wein aufheben wird. 

Bei den sicherheits- und geopolitischen Uneinigkeiten (insbesondere im Südchinesischen Meer) gab es allerdings keine Fortschritte, die über eine "Abmilderung der Differenzen" hinausgingen, wie es die australische Außenministerin Penny Wong ausdrückte. Wang ermutigte Australien erneut, eine "unabhängige Außenpolitik" zu verfolgen, also sich von den USA, Australiens wichtigstem Sicherheitspartner, zu distanzieren. Möglicherweise hofft Beijing mit seinen derzeitigen diplomatischen Bemühungen von den Unsicherheiten vor den US-Wahlen und deren möglichen Folgen zu profitieren.

MERICS Analyse: „In der aktuellen Phase der Wiederannäherung an China ist der Maßstab für Erfolg nicht die Lösung grundlegender Differenzen, sondern eher Schadensbegrenzung und die Aufrechterhaltung konstruktiver Beziehungen,“ sagt Grzegorz Stec, Leiter des MERICS-Büros in Brüssel. „Gemeinsam könnte man an der wirtschaftlichen Stabilisierung Chinas arbeiten oder die Unsicherheiten im Zusammenhang mit den Wahlen in den USA ausloten. Doch eine grundsätzliche Neubewertung der Beziehungen auf einer solchen Basis findet nicht statt“. 

Medienberichte und Quellen:

Tod eines 13-jährigen Jungen entfacht in China eine Debatte über die Kluft zwischen Stadt und Land

Die Fakten: Der mutmaßliche Mord an einem 13-Jährigen durch drei gleichaltrige Jungen im ländlichen Hebei hat eine Debatte über die Notlage von Millionen von Kindern entfacht, die von ihren in Chinas Städten arbeitenden Eltern auf dem Land zurückgelassen werden. Angesichts der streng kontrollierten Medienlandschaft und weil sie die Probleme des chinesischen Hukou-Systems thematisierten, waren die intensiven Online-Debatte besonders bemerkenswert. Chinesen haben außerhalb ihrer Heimatregion, in der sie registriert sind, nach wie vor nur schwer Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen. Das Opfer und die drei Tatverdächtigen waren Berichten zufolge alle unter 14 Jahre alt und wuchsen nicht bei ihren Eltern auf. Dies führte zu zahlreichen Online-Kommentaren über Jugendkriminalität und rechtliche Fragen.

Der Blick nach vorn: Die „Wiederbelebung des ländlichen Raums“ und die „Integration zwischen Stadt und Land“ werden seit langem von den Behörden propagier. Es wurden bereits Änderungen am Hukou-System vorgenommen, aber eine grundlegende Reform steht weiterhin aus. In vielen Städten haben Kinder von Wanderarbeitern inzwischen das Recht, die Schule zu besuchen, aber die sozioökonomischen und administrativen Hürden sind noch immer hoch. Xi Jinping nutzte seine jüngste Reise nach Hunan, um die lokalen Beamten aufzufordern, „die zentralchinesische Region weiter zu beleben“. Allerdings sind auf Beijings Ambitionen, Arbeitsmöglichkeiten für die Landbevölkerung in der Nähe ihrer Heimat und Kinder zu schaffen, bisher noch keine konkreten Maßnahmen gefolgt. Chinas Stadt-Land-Gefälle ist ein weiteres Problem, das in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit staatliche Mittel fordert.

MERICS Analyse: „Die jüngste Online-Debatte über ‚zurückgelassene Kinder‘ hat einen seltenen Einblick in die Befindlichkeit chinesischer Bürger gegeben“, sagt Christina Sadeler, Senior Analystin bei MERICS. „Die derzeitige Politik der Regierung reicht nicht aus, um die Ungleichheiten zwischen Stadt und Land und die damit verbundenen sozialen Probleme zu bekämpfen.“

Medienberichte und Quellen:

MERICS CHINA DIGEST

Niederländischer PM Mark Rutte spricht in Beijing mit Xi Jinping über Cyberspionage (Reuters)

Rutte sagte, er habe bei seinem Treffen mit Xi am 27. März einen Vorfall von Cyberspionage besprochen, für den die Niederlande den chinesischen Staat verantwortlich machen. Staatlich unterstützte Chinesische Hacker verschafften sich laut Geheimdienst MIVD im letzten Jahr Zugang zu einem niederländischen Militärnetzwerk. Der MIVD bezeichneten dies als Teil eines Trends der chinesischen politischen Spionage gegen die Niederlande und ihre Verbündeten. (27.3.24)

USA und Großbritannien verhängen Sanktionen gegen staatlich unterstützte chinesische Hacker wegen angeblich „bösartiger“ Angriffe (The Guardian)

Von Chinas staatlichen Behörden unterstützte Hacker wurden von den USA und Großbritannien beschuldigt, eine jahrelange Cyberangriffskampagne gegen Politiker, Journalisten und Unternehmen geführt zu haben. Britische Beamte erklärten, dass die sanktionierten Personen auch für einen Angriff verantwortlich sind, durch den sie möglicherweise Zugang zu Informationen über duzenden Millionen britischer Wähler erhalten haben, die sich im Besitz der Wahlkommission befinden. Darüber hinaus sollen sie Cyberspionage gegen Abgeordnete eingesetzt haben, die sich offen über eine Bedrohung durch China geäußert haben. (27.3.24)

Chinesischer Zughersteller zieht sich nach EU-Untersuchung von bulgarischer Ausschreibung zurück (Euractiv)

Der chinesische Eisenbahnriese CRRC hat sich von einer Projektausschreibung in Bulgarien zurückgezogen, nachdem die EU im Februar eine Untersuchung wegen mutmaßlicher Subventionen eingeleitet hatte, teilte die Europäische Kommission am 26. März mit. Bei der Ausschreibung ging es um den Kauf von 20 elektrischen Zügen und deren Wartung über 15 Jahre im Gesamtwert von rund 610 Millionen Euro. (27.3.24)

China: Beziehungen zu Philippinen am „Scheideweg“ inmitten von Zwischenfällen im Südchinesischen Meer (Reuters)

Der stellvertretende chinesische Außenminister Chen Xiaodong warnte seine philippinische Amtskollegin Theresa Lazaro in einem Telefongespräch, sich vorsichtig zu verhalten und den Dialog zu suchen. Er sagte, die Beziehungen zwischen China und den Philippinen stünden an einem „Scheideweg“, da Konfrontationen zwischen der chinesischen Küstenwache und der philippinischen Marine die Spannungen verschärft hätten. Lazaro übermittelte Manilas „schärfsten Protest gegen die aggressiven Aktionen“ der chinesischen Küstenwache und Hochsee-Miliz gegen eine philippinische Versorgungsmission im Südchinesischen Meer, teilte ihr Ministerium in einer Erklärung mit. (23.3.24)

China verurteilt Selbstmordanschlag in Pakistan und sagt Fortsetzung der Gürtel- und Straßenprojekte zu (South China Morning Post)

Fünf chinesische Ingenieure und ihr pakistanischer Fahrer wurden auf dem Weg zu einem von China finanzierten Wasserkraftwerksprojekt getötet. Es ist der dritte Anschlag innerhalb einer Woche. Die beiden weiteren Anschläge auf chinesische Interessen in Pakistan richteten sich gegen einen Marine-Luftwaffenstützpunkt und einen strategischen Hafen. (27.3.24)

Chinesische und westliche Wissenschaftler benennen „rote Linien“ bei KI-Risiken (Financial Times)

Führende KI-Wissenschaftler mit westlichem und chinesischem Hintergrund haben eine Warnung herausgegeben, in der sie auf eine globale Zusammenarbeit drängen. So sollen katastrophale Risiken im Zusammenhang mit KI, einschließlich der Entwicklung von Biowaffen und Cyberangriffen, verhindert werden. Sie betonen die Bedeutung einer expliziten menschlichen Kontrolle und internationaler Regulierung, um existenzielle Risiken zu mindern. (18.3.24)

China ändert Definition von „Energieintensität“, um Klimaziele für 2025 zu erreichen (China Dialogue)

In der jüngsten Veröffentlichung der wirtschaftlichen und sozialen Schlüsseldaten Chinas für 2023 änderte das Nationale Statistikamt die Bedeutung des Begriffs „Energieintensität“ und bezog nur den Verbrauch fossiler Brennstoffe ein, während erneuerbare Energien und Kernenergie ausgeschlossen wurden. Dabei wurden die numerischen Ziele nicht angepasst, sodass die CO2-Emissionen in diesem Jahr um bis zu 2,4 % ansteigen könnten, wenn das BIP-Wachstum wie geplant verläuft. In diesem Fall müsste China im Jahr 2025 absolut beispiellose Fortschritte machen, um seine Klimaverpflichtungen zu erfüllen. (19.3.24)