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MERICS Briefs
MERICS China Essentials
11 Minuten Lesedauer

Vorschau auf den 20. Parteitag

TOP THEMA

Xi könnte auf dem KPC-Parteitag zwei Fünftel der Führungsspitze austauschen

Am 16. Oktober beginnt der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas, der Höhepunkt des politischen Jahres in China. Xi Jinping strebt eine historische dritte, fünfjährige Amtszeit als Generalsekretär an. Zudem wird er voraussichtlich eine Reihe jüngerer Loyalisten in die beiden höchsten Organe der Partei bringen. Je mehr neue Gesichter Xi an Bord holen kann, desto fester dürfte sein Griff auf die KPC werden – und desto eher könnte er signalisieren, welche dieser Kader seine Nachfolge antreten könnten, möglicherweise schon zum nächsten Parteitag 2027.   

Derzeit müssen Führungskräfte im 25-köpfigen Politbüro und des derzeit siebenköpfigen Ständigen Ausschusses mit 68 in den Ruhestand gehen. Sollte die Regel weiter gelten, kann Xi mit dem Ausscheiden älterer Führungskräfte mindestens zehn aufstrebende Kader in das Politbüro befördern. Zwei von ihnen können noch weiter in den Ständigen Ausschuss aufsteigen.

Weil Xi viele geltende Regeln in der Partei geändert hat, sind Prognosen über den Verlauf dieses Parteitags schwieriger sind als früher. Xi hatte einige seit langem geltende, ihn selbst betreffende Regeln umgeschrieben. Deshalb kann er zum Beispiel jetzt im Alter von 69 Jahren eine dritte Amtszeit als Generalsekretär anstreben. Die Altersgrenzen wurden allerdings auch erst 2002 eingeführt, seinerzeit, um bestimmte Mitglieder der Führung auszugrenzen.

Die beständigste Konstante bei Führungswechseln in der KPC war schon immer die persönliche Macht – und Xi hat sicherlich genug davon, um die jüngeren Normen unangefochten zurückzusetzen und das nächste Politbüro und seinen Ständigen Ausschuss ganz nach seinen Vorstellungen zu formen.

Xis neues Spitzenteam im Ständigen Ausschuss Mitgliedern wird kaum Zeit haben, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. „Gemeinsamer Wohlstand“ – das Bestreben der KPC, die Einkommensungleichheit und die sozialen Übel des ungebremsten Wachstums zu verringern – wurde als Thema des Kongresses ausgegeben, obwohl Chinas Wirtschaft derzeit stark unter Druck steht. Es gilt zu beobachten, inwiefern auf dem Parteitag die zuversichtlichen Ankündigungen im dort vorgestellten Arbeitsbericht mit Warnungen vor „unsichtbaren Herausforderungen“ kombiniert werden, um überhöhte Erwartungen zu dämpfen.

Chinas soziale und wirtschaftliche Lage ist düster. Der Krisenmodus ist zur Normalität geworden, und die Lockdowns von Xis Null-Covid-Politik haben den Druck für strukturelle Veränderungen im Sozial- und für steuerliche Anreize für Unternehmen und öffentliche Kassen erhöht.

MERICS Analyse: „Xi wird in seiner Eröffnungsrede den Ton für die nächsten fünf Jahre setzen. Er wird seine Ziele bekräftigen: ideologiegetriebene Politik, mehr Autorität für die Partei und mehr internationale Schlagkraft und Selbstständigkeit für China", sagt Nis Grünberg, Lead Analyst bei MERICS. „Der Parteitag der KPC wird eine Krönungszeremonie für Xi und seine Ideologie, und gleichzeitig steht aber China vor den größten Herausforderungen seit Jahrzehnten. Obwohl Millionen Menschen im Lockdown sind und sich die sozioökonomischen Probleme häufen, will der Parteitag eine siegesgewisse Botschaft senden."

METRIX

30 Millionen

Das ist die Zahl der Menschen in China, die während der Rede von Xi Jinping auf dem Parteitag der KPC im Lockdown sein werden. Auf Grundlage offizieller Informationen über die abgesperrten Gebiete schätzt MERICS, dass etwa 12 Millionen Menschen in China in striktem Lockdown sind, weitere 18 Millionen Menschen befinden sich in Teil-Lockdowns, bei denen öffentliche Versammlungsorte geschlossen und regelmäßige Tests vorgeschrieben sind. Eine Änderung der Null-Covid-Strategie ist nicht in Sicht. Xi befürchtet, dass bei einer Öffnung das Gesundheitssystem des Landes schnell überfordert sein könnte.

THEMEN DES 20. PARTEITAGS DER KPC

Politik und Gesellschaft: Kontrolle und Korruptionsbekämpfung

Kontrolle hat für die KPC Priorität. Deshalb wird Xi Jinping nach dem Parteitag weiter auf Disziplinierung der Mitglieder fokussieren. Das Zentralkomitee für Disziplinarinspektionen, die Anti-Korruptionseinheit der KPC, wird voraussichtlich neue Befugnisse erhalten, die über die Verfolgung von Betrug und finanziellen Vergehen hinaus gehen. Künftig müssen auch Funktionäre mit Sanktionen rechnen, die sich nicht an die offizielle Parteilinie halten. 

Die Anti-Korruptions-Kampagne, die Xi Jinping nach seinem Amtsantritt 2012 ins Leben rief, ist sehr erfolgreich. Sie ist vor allem auch ein nützliches Instrument für Xi, das Verhalten von Funktionären zu kontrollieren, indem es Disziplin und Loyalität einfordert. Kritiker der Null-Covid-Strategie zum Beispiel laufen Gefahr, des Verstoßes gegen den Parteikonsens bezichtigt zu werden.

Der Parteitag wird auch Hinweise darauf geben, wie es in der KPC um die Frauenrechte steht. Die 72-jährige Sun Chunlan, einzige Frau im Politbüro, dürfte aus Altergründen ihren Posten räumen. Es gilt als wahrscheinlich, aber nicht sicher, dass eine Frau ihr nachfolgt. Doch diese wäre dann immer noch die einzige weibliche Vertreterin von 25 Mitgliedern. In China wurden Fälle von drastischer Belästigung und Gewalt gegen Frauen in den vergangenen Monaten stark diskutiert. 

Wirtschaft: Gegen Risiken aus dem In- und Ausland absichern

Einheimische Innovation und das Streben nach mehr Unabhängigkeit von ausländischen Produkten und Knowhow werden Xi Jinpings auf dem Parteitag formulierte wirtschaftliche Prioritäten dominieren. Nach einem Jahrzehnt an der Macht wird Xi an seine wirtschaftliche Agenda bekräftigen und bekannte Entwicklungsziele betonen.

Xi will Chinas Wirtschaft angesichts ausländischer und inländischer Risiken absichern. Die „Xi-Jinping-Gedanken zur Wirtschaft" zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Chinas wurden im Juni veröffentlicht. Der Parteitag ist die ideale Bühne, sie weiter auszuführen. Ideologie wird in der Wirtschaftspolitik immer stärker verankert – wie das Leitthema des Parteitags „Gemeinsamer Wohlstand“ zur Bekämpfung von Ungleichheit deutlich zeigt. 

Eine sich verschlechternde Weltwirtschaft könnte Druck auf den Parteitag ausüben, Xis „Strategie der zwei Kreisläufe“ voranzutreiben. Diese zielt darauf ab, exportgetriebenes Wachstum durch mehr Binnenkonsum zu ersetzen – ein angesichts anhaltender Covid-Lockdowns im Land vermutlich schwer zu erreichendes Ziel.

Die Führung um Xi will Wirtschaftsrisiken im Inland zwar verringern. Bisher ist die Erfolgsbilanz jedoch dürftig: der Schuldenabbau wurde Anfang des Jahres wegen Forderungen nach Konjunkturmaßnahmen eingestellt. Weitere Prioritäten sind der überschuldete Immobilienmarkt, über den Xi gesagt hat, dass "Häuser zum Wohnen da sind, nicht zur Spekulation". Auf den Finanzmärkten will er die "ungeordnete Expansion des Kapitals" kontrollieren, um eine "faire Wettbewerbsordnung" zu gewährleisten.

Internationale Beziehungen: Zwischen Konfrontation oder Pragmatismus

In seinem auf dem Parteitag vorgetragenen Arbeitsbericht wird Xi Jinpings Wortwahl zur internationalen Lage – insbesondere in Bezug auf die Ukraine und Taiwan – wird Hinweise geben, welchen Kurs er für China in Zeiten zunehmender Blockbildung vorsieht.

Xi wird den Schwerpunkt wahrscheinlich auf einen von zwei Wegen legen: die Veränderung der internationalen Ordnung durch einen geopolitischen Wettbewerb mit den USA oder den Schutz der eigenen Wirtschaft durch die Stabilisierung der internationalen Lage. 

Ersteres würde die konfrontative Außenpolitik im Rahmen von „Xi Jinpings Gedanken zur Diplomatie“ unterstreichen. Letzteres wäre ein eher defensiver Ansatz, der die Notwendigkeit stabiler Lieferketten, diversifizierter Exportmärkte und eines weniger starken US-Dollars betonen würde – ein Zeichen für Beijings Befürchtungen, Ziel von Sanktionen nach russischem Vorbild werden zu können.

In jedem Fall wird es in der außenpolitischen Führung Veränderungen geben. Der Spitzendiplomat der KPCh, Yang Jiechi, wird voraussichtlich in den Ruhestand gehen, da er die Altersgrenze von 68 Jahren überschritten hat. Auch Außenminister Wang Yi ist 69 Jahre alt. Als Nachfolger werden der Xi-Loyalist Song Tao, bis vor kurzem Direktor der Abteilung für internationale Verbindungen der KPC, und Liu Jieyi, Direktor des Büros für Taiwan-Angelegenheiten des Staatsrats und ehemaliger UN-Botschafter Chinas, gehandelt. Song steht für einen Kurs der stärkeren Kontrolle über den außenpolitischen Apparat, Liu für eine stärker nach außen gerichteten, multilateralen Agenda.

Wissenschaft und Technik: Veteranen der Verteidigungsindustrie steigen in der Partei auf

Das „ganzstaatliche Programm“ (举国体制) zur Förderung der technologischen Unabhängigkeit Chinas wird auf dem Parteitag der KPC eine zentrale Rolle spielen. Vermutlich wird ein Experte der Verteidigungsindustrie in das Politbüro aufsteigen. Das ist ungewöhnlich für das Gremium, das sonst von Ideologen und Ökonomen dominiert ist.

Ma Xingrui, leitender Raumfahrt-Ingenieur bei der China Aerospace Science and Technology Corporation und derzeit Parteisekretär in Xinjiang, hat gute Chancen auf einen Posten im obersten Führungszirkel der KPC. Er konkurriert mit seinem Ex-Kollegen Zhang Qingwei, Parteisekretär in Heilongjiang und ebenfalls ein aufsteigender Stern am Polithimmel.

Die jüngsten Erfolge von Chinas Weltraum-Missionen haben den politischen Einfluss der sogenannten Luft- und Raumfahrt-Fraktion vergrößert. Im Kontrast dazu stehen die Schwierigkeiten von Experten aus dem Halbleiter- und IT-Bereich, Abhängigkeiten vom Ausland zu reduzieren. Gegen fast ein Dutzend ranghoher Beamter und Vermögensverwalter aus diesem Bereich wurden kürzlich Ermittlungsverfahren wegen Korruption eingeleitet. Im Juli wurde der ehemalige Minister für Industrie und Informationstechnologie Xiao Yaqing festgenommen. Ermittelt wird auch gegen den Vorsitzenden des National Integrated Circuit Industry Investment Fund, Ding Wenwu. 

Der 20. Parteitag wird voraussichtlich zeigen, dass Beijing sich zunehmend und über verschiedene Kanäle in die Gestaltung von Industrie-Entwicklung und Innovation einmischen wird. Xi Jinping hatte in diesem Bereich bereits 2017 auf dem 19. Parteitag ein ehrgeiziges Ziel formuliert: China will international führend in Wissenschaft und Technologie werden. Dieses Versprechen will die KPC auf jeden Fall einlösen.

IM PROFIL

Ding Xuexiang – Vertrauter von Xi mit Aussicht auf einen Platz im Politbüro

Als Direktor des Büros des Generalsekretärs der KPC folgt Ding Xuexiang jeder Anweisung von Xi Jinping. Er gilt als einer von Xis loyalsten und verlässlichsten Vertrauten und könnte sich nun einen Platz im siebenköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas erarbeitet haben. Ding, der im September 60 Jahre alt wurde, ist jung genug, um zwei fünfjährige Amtszeiten im mächtigsten Gremium der KPC zu absolvieren, also bis in die frühen 2030er Jahre. Dieser Schritt würde Xis Autorität stärken und sicherstellen, dass seine Agenda auch im nächsten Jahrzehnt umgesetzt wird.  
 
Ding ist im Wesentlichen der Stabschef von Xi. Im Gegensatz zu anderen Spitzenkadern hat er noch nie eine Gemeinde oder Provinz geleitet. Nachdem er 1984 in die KPC eingetreten war, bestand seine politische Karriere vor allem darin, sich in den Reihen der Partei hochzuarbeiten. Sein Verständnis für die inneren Abläufe der KPC hat ihm das Vertrauen des mächtigsten Mannes Chinas eingebracht – auch sein zurückhaltender Pragmatismus und seine harte Arbeit dürften geholfen haben. Als überzeugter Loyalist verbreitet Ding eifrig Xis Ideen und betont, Xi Jinpings Gedankengut werde China in ein "neues Zeitalter" führen.  

Der aus der Provinz Jiangsu stammende Ding begann seine Karriere als Forscher am Shanghaier Institut für Materialforschung, bevor er in der Metropole in Parteifunktionen im Bereich Propaganda, Organisation und Sicherheit wechselte. Ding arbeitete für Xi, nachdem dieser Parteisekretär der Stadt geworden war. Seither ist seine Karriere eng mit der von Xi verbunden. Nachdem Xi 2012 die Macht übernommen hatte, wurde Ding sein persönlicher Sekretär und begleitete ihn zu wichtigen nationalen und internationalen Treffen. Ding ist auch Mitglied der Nationalen Sicherheitskommission, die Chinas Sicherheitsapparat kontrolliert, und in der Xi den Vorsitz führt.